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Die Rettung der Litzauer Lechschleife

Das deutsche Wirtschaftswunder ging mit einem großen Energiehunger einher, aus dem ein gewaltiger Raubbau an unseren Flüssen resultierte. Den Lech traf es besonders hart: Mit über 20 Kraftwerken ist er heute der am dichtesten verbaute Fluss Bayerns. Naturschützer konnten lediglich die Litzauer Schleife und einen Flussabschnitt bei Augsburg retten.

Mit über 20 Kraftwerken zählt der Lech zu den am dichtesten verbauten Flüssen Bayerns, die ursprünglichen Flussauen mit ihrer typischen Flora und Fauna sind längst verschwunden. In den 1950er-Jahren machten die Wasserbauingenieure selbst vor bestehenden Naturschutzgebieten wie der berühmten Illasschlucht bei Roßhaupten nicht halt: Sie liegt heute begraben unter den Fluten des Forggensees, der damals als größter Stausee Deutschlands entstand.

Einige Kleinode konnten sich allerdings der Zerstörungswut entziehen: Prof. Dr. Otto Kraus und viele Naturschützer sorgten mit ihrem Engagement dafür, dass die Litzauer Lechschleife bei Schongau gerettet wurde und nicht in einer Staustufe unterging. Reste der ursprünglichen Auenlandschaft findet man außerdem am Flusslauf zwischen Landsberg und Augsburg, besonders im Augsburger Stadtwald. Diese Schätze am Lauf eines malträtierten Flusses gilt es heute zu bewahren.

Ringen um Lech und Litzauer Schleife

Das deutsche "Wirtschaftswunder" der Nachkriegszeit ging mit einem gewaltigen Energiehunger einher. Und da sich schon damals kaum jemand dafür interessierte, wo der Strom herkam, fand in dieser Zeit ein gewaltiger Raubbau an unseren Flüssen statt, besonders an jenen, die mit viel Gefälle – und damit viel kinetischer Energie – aus dem Gebirge kommen. Den Lech traf es besonders hart. Nur die Litzauer Schleife und ein Flussabschnitt bei Augsburg blieben erhalten.

Keinen deutschen Fluss hat es dabei so hart erwischt wie den Lech. Das Konzept des Totalausbaus sah vor, möglichst viel Energie aus ihm zu ziehen und "nutzlose" freie Fließstrecken zu vermeiden. 26 Kraftwerke waren an den 90 Flusskilometern zwischen Roßhaupten und Augsburg vorgesehen  –  alle 3,5 Kilometer eines. 22 davon wurden gebaut, ohne Rücksicht auf bestehende Naturschutzgebiete und den Widerstand von Naturschützern.

Die Folge war ein gewaltiges Aussterben. Der einstmals wilde Alpenfluss verwandelte sich in eine langweilige, ökologisch minderwertige Kette von Stauseen, die nur noch von der eindrucksvollen Litzauer Schleife bei Schongau und von einigen Kilometern Fließstrecke bei Augsburg unterbrochen sind. Doch selbst hier gibt es immer wieder Pläne, auch diese letzten freien Flussabschnitte zur Erzeugung "erneuerbarer" Energie zu nutzen.

Rücksichtsloser Staustufenbau am Lech

Nur noch aus alten Fotografien kann man daher erahnen, wie eindrucksvoll der Lech früher gewesen sein muss: Mit vielen Haupt- und Nebenarmen in einer streckenweise mehrere Kilometer breiten, offenen Kiesfläche, in der der reißende Fluss sein Bett bei jedem Hochwasser verlagerte, wobei er aufkommenden Bewuchs immer wieder mit fortriss und so Raum für Pflanzen wie die Zwerg-Glockenblume, die Deutsche Tamariske oder das Kriechende Gipskraut schuf, die nur auf freien Kiesflächen gedeihen. Dazwischen lagen geschützte Inseln und Kiesbänke, auf denen Kiesbrüter wie Flussregenpfeifer und Flussseeschwalbe ungestört ihren Nachwuchs aufziehen konnten. Anrührende Zeugnisse davon finden sich in dem von Eberhard Pfeuffer herausgegebenen Bildband "Der ungebändigte Lech – Eine verlorene Landschaft in Bildern" (Wißner Verlag, 2012).

Buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste betrieb die 1940 gegründete halbstaatliche Bayerische Wasserkraft AG (BAWAG, heute Uniper) den Staustufenbau. Von 1950 bis 1954 wurde zunächst der heutige Forggensee als Kopfspeicher gebaut, trotz anhaltender Proteste von ortsansässigen Bauern und Naturschützern. Entgegen getroffenen Vereinbarungen mit dem Naturschutz und einem Beschlusses des Bayerischen Ministerrates wurde die Staumauer "aus geologischen Gründen" an das untere Ende der unter Naturschutz stehenden Illasbergschlucht verlegt. Dieses einzigartige Naturdenkmal, von dem Zeitgenossen schwärmten, ist nun zusammen mit den Resten einer Jahrtausende alten Kulturlandschaft für immer unter dem künstlichen See verschwunden.

Der Forggensee als Kopfspeicher macht es möglich, die Kraftwerkskette im sogenannten "Schwellbetrieb" zu fahren. Dabei wird die abgegebene Wassermenge nach dem Strombedarf ausgerichtet: Man lässt tagsüber mehr Wasser fließen als in der Nacht und im Winter mehr als im Sommer. Für die Ökologie des Flussufers sind die ständigen starken Schwankungen des Wasserstands alles andere als zuträglich: Nur wenige Pflanzen überleben es, regelmäßig tagsüber überschwemmt zu werden und nachts trockenzufallen. Und dass sich der Forggensee jeden Winter in eine Schlammwüste verwandelt, ist auch nicht nur ein landschaftsästhetisches Problem.

Landschaft ohne Schutz

Bis 1984 wurde Staustufe um Staustufe gebaut und gleichzeitig die Proteste von Anwohnern, Naturschützern und Wissenschaftlern nur als zeitraubende Belästigung behandelt. Einen so entstandenen Bauaufschub quittierte einer der BAWAG-Direktoren mit dem enthüllenden Vorwurf: "Für 32 Millionen ungenutzte Wasserkraft ist hier im vergangenen Jahr heruntergelaufen."

Prof. Dr. Otto Kraus, der damalige Leiter der Bayerischen Landesstelle für Naturschutz und damit "erster amtlicher Naturschützer Bayerns", kommentierte erschüttert: "Jahre dauerten die Auseinandersetzungen um diese als Naturschutzgebiet sichergestellte Flusslandschaft. Der hier nutzlos gewesenen Kompromissbereitschaft des Naturschutzes und der Wissenschaft stand der absolute Anspruch einer starken wirtschaftlichen Machtgruppe gegenüber, die in einem Alles-oder-Nichts-Standpunkt den restlosen Ausbau der unter Schutz stehenden Flusslandschaft forderte."

Lichtblick Litzauer Schleife

Einen Teilerfolg konnte ein breites Bündnis aus Anwohnern, Wissenschaftlern und Naturschützern im Fall der berühmten Litzauer Schleife bei Schongau erzielen: Die Staustufe Nr. 5 blieb ungebaut. Wie Otto Kraus in seinen Erinnerungen berichtet, "hatten sich zuletzt 32 Organisationen, darunter auch Universitätsinstitute, unter Führung von Prof. Alwin Seifert, dem damaligen BN-Vorsitzenden, zusammengefunden, die damals der Bayerischen Landesstelle für Naturschutz eine mächtige Hilfestellung boten".

"Die BAWAG kannte freilich kein Pardon", berichtet der Wirtschaftshistoriker Stephan Deutinger: Sie "interpretierte ihre staatliche Konzession zum Lechausbau aus dem Jahr 1940 als gültige Generalvollmacht und wollte sich mit dem Widerstand dagegen nicht abfinden. Selbst als der Ministerrat 1957 Baumaßnahmen zwischen der Litzauer Schleife und Schongau untersagte, stellte die BAWAG die Vorbereitungen dafür nicht ein und ließ es auf eine offene Kraftprobe ankommen".

Als Kraus forderte, der BAWAG die Lizenz zum Lechausbau zu entziehen und einen Untersuchungsausschluss einzusetzen, versuchte man, ihn mit einstweiligen Verfügungen zum Schweigen zu bringen. Die BAWAG zog in diesem Fall den Kürzeren und musste sich 1960 in einem vielbeachteten Prozess vor dem Oberlandesgericht München vorhalten lassen, sie befinde sich "in einer offenen Auflehnung gegen Beschlüsse der Staatsregierung".

"Naturmuseum" in Flussruine

Trotz ihrer beeindruckenden landschaftlichen Schönheit ist es schwer, sich vorbehaltlos an der Rettung der Litzauer Schleife zu freuen. Sie ist ein Beispiel für die Zwiespältigkeit mancher Erfolge des Naturschutzes: Zwar konnte das Kleinod der Schleife gerettet werden, doch der Lech insgesamt wurde zerstört. Und so muss man die Litzauer Schleife wohl eher als ein "Naturmuseum" inmitten einer Flussruine ansehen.

Zudem ist auch dieses verbliebene Idyll in Gefahr: Da dem Fluss das Geschiebe fehlt, verlagert er sein Bett nicht mehr. Infolgedessen verlanden und verbuschen die Inseln wie die Uferbereiche: Der einstmals wilde Lech hat sich in eine Kette stehender Gewässer verwandelt, die von unzähligen Stauwehren und Kraftwerken zerhäckselt werden. Der Lechexperte Dr. Eberhard Pfeuffer muss traurig feststellen: "Nach und nach haben sich die Wildflussarten verabschiedet, als eine der letzten der Kiesbank-Grashüpfer."


Lesen Sie mehr über Prof. Dr. Otto Kraus (ehem. Leiter der Bayerischen Landesstelle für Naturschutz)

Portrait von Otto Kraus (PDF)


Buchempfehlungen zum Lech

Einer der schönsten Bildbände, der mir in den letzten Jahren in die Hände gekommen ist. Keine "Naja-Aufnahmen", sondern großartige Fotos: Eindrucksvolle Landschaften ebenso wie Nahaufnahmen von Pflanzen und Tieren; sachkundiger und gut lesbarer Text.

Auch wenn bei einem so exzellent bebilderten Buch der erste Reflex natürlich zum Betrachten der Fotos geht, lohnt es sich, auch den Text zu lesen: Der Augsburger Arzt Dr. Eberhard Pfeuffer war Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins Schwaben und gilt als einer der besten Kenner des Lechs. Und er ist nicht nur ein exzellenter Fotograf, sondern besitzt darüber hinaus auch die Gabe, klar und verständlich zu schreiben. Sein Text macht die erdgeschichtliche Entstehung des Lechs ebenso anschaulich wie die Flora und Fauna der Lechregion, die frühe Besiedelung ebenso wie den – leider fast vergeblichen – Kampf gegen die Zerstückelung dieses großen und einstmals wilden Flusses durch Kraftwerke und Staustufen.

Durch diesen Bildband habe ich gelernt, den Lech mit anderen Augen zu sehen. Bisher habe ich ihn für eine "Flussleiche" gehalten, für einen Kadaver, den man nach verlorener Schlacht achtlos und enttäuscht zurücklässt, weil er nicht mehr zu retten ist: Durch insgesamt 30 Kraftwerke und 24 Staustufen ist der mittlere und untere Lech zwischen dem (für energiewirtschaftliche Zwecke künstlich angelegten) Forggensee und seiner Mündung in die Donau bei Rain zerschnitten. Es gibt keinen Fluss in ganz Europa, der derart zerhäckselt und denaturiert worden ist.

Umso mehr hat mich Pfeuffers letztes Kapitel angerührt. Schon in der Überschrift "Was geblieben ist" schwingt die Trauer mit über das, was zerstört wurde, aber eben auch die Erleichterung, dass nicht alles kaputt ist. Zwar lässt der ebenfalls von Eberhard Pfeuffer herausgegebene Bildband "Der ungebändigte Lech – Eine verlorene Landschaft in Bildern" erahnen, welches Weltnaturerbe wir da verloren haben. Aber es nützt weder dem Lech noch uns, wenn wir uns in trotziger Trauer eingraben – sowohl der Natur als auch den Menschen dient es mehr, zu entdecken, "was geblieben ist", und dieses Verbliebene zu schätzen – und zu schützen.

Denn die nächsten Angriffe auf die wenigen verbliebenen freien Fließstrecken rollen schon: Die Energiewende muss als Legitimation für den Versuch herhalten, die letzten möglichen Staustufen am Lech auch noch durchzusetzen. Wer den unteren und mittleren Lech abgeschrieben hat, hat keine Kraft und letztlich auch keinen Grund mehr, sich dieser Zerstörung in den Weg zu stellen. Wer dank der Lektüre dieses Buchs – bei aller Trauer über das Verlorene – den Wert des Verbliebenen erkennt, wird sich dafür einsetzen, wenigstens diesen Rest zu erhalten.

Eberhard Pfeuffer: Der Lech. Wißner Verlag. 184 Seiten. ISBN: 978-3896397683. 29,80 Euro.
Rezension von Winfried Berner

Eine wunderschöne und zugleich traurige Sammlung von Schwarz-Weiß-Fotographien einer großartigen Wildflusslandschaft, die der Stromerzeugung geopfert wurde: Eine wertvolle Erinnerung daran, dass der Lech einmal ein lebendiger, wilder Alpenfluss war.

Er muss ein großer Kenner und Liebhaber des wilden, ungebändigten Lechs gewesen sein, der promovierte Augsburger Biologe Heinz Fischer (1911 - 1991). Jedenfalls hat er eine umfangreiche Sammlung großformatiger (6 x 6) und großartiger Schwarz-Weiß-Fotographien hinterlassen, die sich heute im Besitz des Naturmuseums Königsbrunn befinden. Offenbar hat er viele dieser sorgfältig datierten und dokumentierten Aufnahmen buchstäblich im letzten Moment gemacht: Im Angesicht der bevorstehenden Zerstörung der jeweiligen Flussabschnitte. Vermutlich wollte er der Nachwelt auf diese Weise wenigstens eine Erinnerung daran erhalten, was sie für immer verloren hat.

Und so ist dieser Bildband, von dem renommierten Lechkenner Dr. Eberhard Pfeuffer überaus sorgfältig und einfühlsam editiert, zugleich eine große Freude und ein großer Schmerz: Eine Freude darüber, obwohl zu spät geboren, noch einmal einige Eindrücke davon zu bekommen, wie dieser große, wilde Alpenfluss vor seiner gewaltsamen Domestizierung ausgesehen hat; ein Schmerz, weil man diese Aufnahmen betrachtet im traurigen Bewusstsein, dass all das unwiederbringlich verloren ist und dass weder die berückende Schönheit dieser Flusslandschaften noch ihre biologische Vielfalt jemals wieder restauriert werden können.

Die Dokumentation der alten Fotografien folgt zunächst dem Flusslauf: Sie beginnt mit dem "Lech in den Alpen" und reicht bis zu "Der Lech und die Wildflussaue vor Augsburg". In diesem Kapitel dokumentiert der Band auch einige Fotografien des alten Lechs kurz vor Augsburg, die Heinz Fischer selbst nur als Kind unverbaut erlebt hat. Diese Aufnahmen datieren um 1915 und stammen von Fischers Vater Anton. Überaus eindrucksvoll sind Heinz Fischers Aufnahmen der berühmten Illasschlucht. Das war einmal ein Naturschutzgebiet, dessen rücksichtslose Zerstörung durch den Kraftwerksbau schon der erste oberste bayerische Naturschützer Prof. Dr. Otto Kraus in den 1950er-Jahren des letzten Jahrhunderts beklagt hat.

Den Abschluss bilden ein Kapitel "Der Wildfluss" mit geradezu künstlerischen Aufnahmen sowie ein Kapitel über "die Brutvögel auf den Lechkiesbänken", das auf einem gleichnamigen Artikel von Anton Fischer von 1926 aufbaut und mit dem traurigen Zitat endet: "Da Anfang dieses Jahres auch an dieser Stelle mit den Korrektionsarbeiten begonnen wurde, ist den Lechbrütern ihr letztes Asyl genommen, die einst so reiche und einzigartige Lechvogelfauna vernichtet. Einzelne Paare mögen dieses Frühjahr wiederkommen und nochmals Brutversuche wagen, aber die Zeit, in der es eine für die Lechkiesbänke charakteristische Vogelfauna gab, ist vorbei – für immer." (S. 153)

Unausgesprochen ist dieser einzigartige Bildband denn auch eine bittere Anklage gegen den maßlosen Energiehunger unserer Gesellschaft: Um Einkaufszentren und andere Kathedralen dauerzubeleuchten, um Straßencafés zu beheizen und Shopping Center zu klimatisieren, um Erdbeeren und Spargel schon vor der Saison kaufen zu können, zerstören wir Ökosysteme. Mit unseren schönsten Landschaften bezahlen wir den Preis für unsere Unwilligkeit, konsequent auf Energieeffizienz zu achten, den Preis dafür, dass bei uns Energie so billig ist, dass es sich nach wie vor lohnt, jeden Mist zu elektrifizieren. "There is no free lunch", sagen die Amerikaner. Wie dieser Bildband dokumentiert, haben wir leider weite Teile unserer Heimat verfrühstückt.

Rezension von Winfried Berner
Eberhard Pfeuffer: Der ungebändigte Lech. Wißner Verlag. 160 Seiten. ISBN:978-3-89639-820-8. 29,80 Euro.