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Tiere und Pflanzen

Funktionale Lebensmittel - das Einfallstor der grünen Gentechnik

Der geplante Freisetzungsversuch der TU München mit gentechnisch veränderten Kartoffeln, die eine zusätzliche gesundheitliche Wirkung versprechen, ist angesichts der potentiellen Risiken,

14.02.2003

sowie der bestehenden Alternativen für eine ausgewogene, gesunde Ernährung, unnötig und sinnlos. Das mit Steuergeldern finanzierte Vorhaben wird vom Bund Naturschutz (BN) aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen strikt abgelehnt. Es dient letztendlich dem Ziel der Biotech-Industrie, durch gentechnisch hergestellte funktionale Lebensmittel (functional food) die Akzeptanz der grünen Gentechnik bei der Bevölkerung zu steigern und Genfood durch die Hintertür salonfähig zu machen. Der eindimensionale Ansatz dieser Strategie ist ein Irrweg und stellt keinen Beitrag für eine nachhaltige Lösung der Ursachen des Problems dar. Die Bemühungen, das vielfach falsche Ernährungsverhalten der Bevölkerung zu ändern, würden dadurch konterkariert. Die Gentechnik erweist sich damit einmal mehr als reine Reparaturtechnologie, die nur an Symptomen herumkuriert und ganzheitliche Ansätze ignoriert.

Da auch derartig genmanipulierte Pflanzen für den zukünftigen kommerziellen Anbau entwickelt werden, befürchtet der BN außerdem zusätzliche Gefahren für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Mit Gentech-Pflanzen der so genannten zweiten und dritten Generation, die der Herstellung von funktionalen Lebensmitteln und Medikamenten dienen sollen, wird ein neuer Weg beschritten, der voraussichtlich noch erheblich komplexere Risiken birgt als die bisher im Vordergrund stehenden transgenen insekten- und/oder herbizidresistenten Pflanzen.


Angesichts dieser Entwicklungen appelliert der BN an die Politiker aller Parteien, im Rahmen der aktuellen Verhandlungen auf EU-Ebene über die neuen gesetzlichen Regelungen zur künftigen kommerziellen Nutzung der grünen Gentechnik, dem Verbraucherschutz und dem Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft eindeutig die Priorität vor den Interessen der Biotech-Industrie einzuräumen.

Erforderlich sind insbesondere niedrige, an der Nachweisgrenze (derzeit 0,1 %) orientierte Schwellenwerte der Kennzeichnung bei gentechnischen Verunreinigungen von Lebens- und Futtermitteln sowie von Saatgut. Ansonsten könnten sich Verbraucher und Landwirte künftig nur noch zwischen mehr oder weniger Gentechnik entscheiden. Die Sicherung der Wahlfreiheit beim Einkauf und eine gentechnikfreie landwirtschaftliche Produktion muss jedoch weiterhin gewährleistet und möglich sein. Außerdem sind verbindliche Haftungs- und Kostenregelungen nach dem Verursacherprinzip längst überfällig und dringend erforderlich. Notwendig ist weiterhin die Umkehr der Beweislast bei gentechnischen Verunreinigungen. Nicht die Geschädigten, sondern die Anwender der Gentechnik sollen nachweisen müssen, dass sie die Kontamination nicht verursacht haben.

Bevor diese Mindestbedingungen nicht erfüllt sind, darf es keine Neuzulassung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) oder Produkten daraus in der EU geben. Das bestehende de facto Moratorium muss bestehen bleiben, auch wenn der Druck seitens der USA auf die EU weiter zunehmen sollte.


gez.
Prof. Dr. Hubert Weiger
1. Vorsitzender des BN

gez.
Dr. Martha Mertens
Sprecherin BN-Arbeitskreis Gentechnik

gez.
Kurt Schmid
Regionalreferent



Anhang: Ausführliche Hintergrundinformationen

Anhang:

Ausführlichere Hintergrundinformationen zur Pressemitteilung
Funktionale Lebensmittel  das Einfallstor der grünen Gentechnk?

Neue Gentech-Pflanzen, neue Eigenschaften, neue Risiken

Mit der Entwicklung so genannter funktionaler Lebensmittel (functional food) hofft die Biotechnindustrie, die Ablehnung der Verbraucherschaft gegenüber den bisherigen Gentech-Lebensmitteln zu überwinden. Statt der agronomisch interessanten Eigenschaften Herbizidresistenz und Insektenresistenz, die derzeit weltweit die entscheidende Rolle spielen, sollen künftig Eigenschaften wie erhöhter Vitamin- oder Mineralstoffgehalt das Image von Gentech-Lebensmitteln bei der Verbraucherschaft verbessern. Nicht die abwechslungsreiche Ernährung mit einer Vielfalt von unterschiedlichen frisch zubereiteten Lebensmitteln mit einem hohen Anteil von Gemüse und Obst soll propagiert werden, sondern eine Ernährung, die sich auf kalorienarme Fertigprodukte und Fast-Food stützt, die dann wiederum mit dem Hinweis auf zusätzliche gesunde Vitamine, Mineralstoffe und gesundheitsfördernde Stoffe beworben werden. Die Gentechnik mit einer Vielzahl von Möglichkeiten zur Veränderung kommt hier gerade recht.

So sollen transgene Kartoffeln oder Reis, die zusätzliche Carotinoide enthalten, dem Vitamin A-Mangel vorbeugen, als ob es in unserem Nahrungsangebot nicht genügend Pflanzen gäbe, die einen hohen Carotinoidgehalt aufweisen. Pflanzensubstanzen, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben wird, wie z.B. Tocopherol (Vitamin E), sollen vermehrt in den verschiedensten Pflanzenarten gebildet werden. Viele dieser Pflanzenstoffe sind Produkte des sekundären Pflanzenstoffwechsels, der artspezifisch sehr komplex sein kann. Zu den so genannten sekundären Stoffwechselprodukten gehören aber auch Substanzen, die für die Resistenz gegen Krankheitserreger und Schädlinge und die Qualität der Lebensmittel wichtig oder toxisch sind (z.B. Alkaloide). Eingriffe an einer Stelle dieses im einzelnen nur unzureichend verstandenen Stoffwechsels können unerwartete und unerwünschte Effekte an ganz anderer Stelle auslösen. Um nicht beabsichtigte Veränderungen infolge eines gentechnischen Eingriffs festzustellen, wäre ein umfassende Untersuchung der Sekundärmetabolite solcher transgenen Pflanzen erforderlich. Es existieren allerdings keine generell anwendbaren Methoden für derartige Untersuchungen, so dass neue bzw. unerwünschte Stoffe, die in geringer Konzentration auftreten, möglicherweise nicht entdeckt werden. Diese angeblich gesundheitsfördernden Gentech-Lebensmittel könnten somit ein ganz neues Risiko für die menschliche Gesundheit mit sich bringen.

Darüber hinaus sollen die gentechnisch veränderten Pflanzen der zweiten bzw. dritten Generation teilweise direkt Pharmaprodukte liefern. Die Grenze zwischen Lebensmittel und Medikament würde damit fließend und verwischt. Impfstoffe gegen bestimmte Infektionskrankheiten, die in Kartoffeln, Tomaten und Bananen gebildet werden, sollen eine neue Art von Schluckimpfung erlauben. Humanproteine wie das Magenenzym Trypsin oder verschiedene Milch- und Bluteiweiße lassen sich künftig möglicherweise aus Kartoffeln, Tomaten, Tabak und Mais gewinnen. Auch an der Entwicklung von transgenen Pflanzen, die Antikörper und Medikamente gegen Krebserkrankungen bilden, wird gearbeitet. Grund für die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen dieser Art ist die Hoffnung, bestimmte Produkte billiger produzieren zu können.

Die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die mit einer Pharmaproduktion auf dem Acker einhergehen,werden von der Industrie als beherrschbar bezeichnet. Dass hier aber große Fragezeichen gesetzt werden müssen, zeigen die Entwicklungen der letzten Zeit. In den USA, wo offenbar Hunderte von Freisetzungsversuchen mit Pharmapflanzen durchgeführt werden, wurde vor kurzem die Firma Prodigene zu 250 000 $ Strafe verurteilt, weil sie den behördlichen Auflagen, Freisetzungsareale auch nach dem Anbau laufend zu kontrollieren und eventuell auftauchende Mais-Pharmapflanzen zu entfernen sowie die Auskreuzung auf benachbarte Maisbestände durch entsprechende Abstände zu verhindern, nicht Folge leistete. In Nebraska war die Folgefrucht Soja verunreinigt und in Iowa war die Auskreuzung auf konventionellen Mais nicht verhindert worden. Insgesamt kommt die Angelegenheit die Firma wohl noch erheblich teurer. Die Produktion von pharmazeutisch wirksamen Substanzen in Nahrungspflanzen wie z. B. Mais kann deshalb nur als unverantwortlich bezeichnet werden, da viele Beispiele (z.B. StarLink Mais-Skandal im Jahr 2000) inzwischen gezeigt haben, dass die strikte Trennung derartiger Pflanzen und ihrer Produkte von der Lebens- und Futtermittelproduktion nicht sichergestellt ist.

Dabei gilt es nicht nur, die Wirkung auf die menschliche Gesundheit zu betrachten, sondern auch die auf die Umwelt, da Gentech-Pflanzen, die im Freiland angebaut werden, zwangsläufig mit vielen Organismen, z. B. Insekten, Vögel, Kleinsäuger in Kontakt kommen. Unerwünschte Wirkungen auf diese Nicht-Zielorganismen, sind möglich, bei Pharmapflanzen sogar wahrscheinlich. Man denke nur an Wildtiere, die nicht nur Wildpflanzen, sondern auch Ackerpflanzen fressen. Zudem ist mit einer Auskreuzung auf andere Pflanzen der gleichen oder einer verwandten Art zu rechnen, was zum Auftreten unerwünschter, eventuell toxischer Stoffe in Wildpflanzen führen könnte. Sollten die neuen Stoffe auch im Pollen gebildet werden, könnten sie zusätzlich über große Distanzen verfrachtet werden und an Stellen gelangen, wo sie höchst unerwünscht sind (z.B. Schutzgebiete, Gewässer). Sie könnten aber auch mit den Pollen inhaliert werden und so zu unerwünschten Wirkungen führen.

Die aktuelle Situation in Europa und globale Aktivitäten der USA

Vor diesem Hintergrund ist es eine mehr als fragwürdige Entwicklung, wenn, in der Hoffnung die gentechnik-kritischen Verbraucher von der grünen Gentechnik zu überzeugen, die Industrie und Teile der Wissenschaft in der letzten Zeit so stark auf Gentech-Pflanzen zur Herstellung von funktionalen Lebensmitteln und Medikamenten setzen. Die Gentech-Industrie verfährt allerdings durchaus zweigleisig: Frei nach dem Motto folgst du nicht willig, so brauch ich Gewalt wird über die US-Regierung derzeit massiver Druck auf die EU erzeugt, die geplanten Regelungen zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und daraus hergestellten Lebens- und Futtermitteln nicht wie geplant zu verabschieden und umzusetzen. Der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick drohte vor kurzem, die EU vor der WTO anzuklagen, weil die geplanten EU-Regelungen diskriminierend für die Gentech-Pflanzen und Produkte seien und eine nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse abgesicherte Einschränkung des freien Welthandels darstellten.

Besonders verärgert schienen die Agrobiotech-Multis und die ihnen wohlgesonnenen Politiker über die Weigerung von Ländern Südost-Afrikas, gentechnisch veränderten Mais als Nahrungsmittelhilfe für ihre Hunger leidende Bevölkerung zu akzeptieren. Länder wie Simbabwe und Malawi verlangten, den gelieferten Mais wenigstens vor der Verteilung zu mahlen, damit er nicht als Saatgut verwendet werden und so Eingang in die heimische Nahrungsproduktion finden könnte. Sambia verweigerte aus Gesundheits- und Umweltgründen auch die Annahme von gemahlenem genmanipuliertem Mais und bemühte sich stattdessen um die Lieferung von gentechnikfreien Nahrungsmitteln aus anderen Quellen. Der EU wurde in diesem Zusammenhang von US-Seite vorgeworfen, dass sie nicht entschieden genug für die Annahme der GVO-Lieferungen durch die Regierungen der von Dürre und Nahrungsmangel betroffenen Länder eingetreten sei. Dabei existieren in den meisten Ländern Afrikas bislang keine Gesetze zum Umgang mit GVO und zur Genehmigung von genmanipulierten Pflanzen und Produkten. Unbesehen akzeptierte Nahrungsmittelhilfe, die GVO enthält, könnte diesen Ländern die Möglichkeit nehmen, eigenständig zu entscheiden, welche GVO sie unter welchen Umständen zum Verzehr oder gar zum Anbau zulassen wollen oder wie weit sie sich überhaupt diesem Entwicklungspfad öffnen wollen. Eine globale Kontamination durch GVO könnte allerdings durchaus im Sinne der Gentech-Industrie sein, um so auch den bislang recht widerspenstigen Verbrauchern Europas und einiger asiatischer Länder künftig die Entscheidungsmöglichkeiten zu beschneiden.

In der EU wird voraussichtlich noch in diesem Jahr ein Regelwerk zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit geschaffen, das Verbesserungen gegenüber der derzeitigen Situation mit sich bringen soll. So sollen GVO und ihre Produkte über die Nahrungsmittel- und Futtermittelkette jederzeit zurückzuverfolgen sein und es sollen endlich neben Lebensmitteln auch Futtermittel kennzeichnungspflichtig werden. Die Produzenten werden zudem verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Kontamination von Lebens- und Futtermitteln mit GVO verhindern bzw nur noch auf technisch nicht vermeidbare und zufällige Kontaminationen reduzieren. Der hierfür angesetzte Schwellenwert, ab dem eine Kennzeichnung erforderlich ist (Vorschlag des Ministerrats 0,9 % gegenüber einem vom Europaparlament vorgeschlagenen Wert von 0,5 %), wird allerdings darüber entscheiden, wie stringent derartige Maßnahmen dann anzuwenden sein werden. Einzelheiten zu den zu treffenden Maßnahmen fehlen jedoch bislang! Entgegen den Forderungen der Umwelt- und Verbraucherverbände wurde auch nicht festgelegt, dass Produkte von Tieren (z.B. Fleisch, Milch, Eier), die mit GVO gefüttert wurden, zu kennzeichnen sind. Eine umfassende Transparenz von der Stalltür bis zum Teller scheint auch in der EU nicht erwünscht zu sein!

Der BN fordert daher, dass die EU-Regelungen vor der Verabschiedung in den genannten Punkten nachgebessert werden. Unerlässlich ist auch die Sicherung der Gentechnikfreiheit von Saatgut. Konventionelles Saatgut darf gentechnisch verändertes Material auch nicht als Kontamination enthalten, der hierfür geltende Schwellenwert muss  entgegen den derzeitigen Plänen der EU-Kommission  an der Nachweisgrenze liegen (derzeit 0,1 %) und darf sich nicht daran orientieren, was die Saatgutindustrie als praktikabel bezeichnet. In unserem Nachbarland Österreich gibt es bereits ein entsprechendes Saatgutgesetz mit einem Schwellenwert von 0,1 % gearbeitet  und die Erfahrungen scheinen durchaus positiv zu sein, was die Vermeidung von gentechnischen Verunreinigungen betrifft. Zur Sicherung der gentechnikfreien landwirtschaftlichen Produktion ist jedoch eine Reihe weiterer Maßnahmen erforderlich, wie eine verbindliche Regelung bezüglich der Haftungsfragen und auch die Festlegung, dass etwa anfallende Kosten einer separaten Produktions- und Verarbeitungsschiene nach dem Verursacherprinzip von den Produzenten der genmanipulierten Pflanzen zu tragen sind. Der, der für etwaige Kontaminationen verantwortlich ist, muss auch die daraus entstehenden Kosten tragen!