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Tiere und Pflanzen

Wildkatze: Auswilderung und Forschung in Bayern

In den 1980er-Jahren beschloss der BN, die ausgerottete Wildkatze zurück nach Bayern zu holen. Ein spannendes Zucht- und Auswilderungs-Projekt nahm seinen Anfang. Es hat mit dazu beigetragen, dass die Wildkatze heute wieder im Freistaat vorkommt. Mit dem Wildkatzen-Monitoring als Citizen-Science-Projekt verfolgt der BN seit den Anfängen, wie sich die Verbreitung der Art in Bayern entwickelt und trägt zur Wildkatzen-Forschung bei.

In früheren Jahrhunderten wurde in Europa erbittert Jagd auf die „Wilde Katze“ gemacht. Das traurige Ergebnis: Anfang des 20. Jahrhunderts war die Wildkatze in weiten Teilen Deutschlands ausgerottet. Erfreulicherweise war dies kein Abschied für immer. Anfang der 1980er-Jahre taten sich Naturschützer unter der Führung von Hubert Weinzierl, dem damaligen Vorsitzenden des BUND Naturschutz (BN), und des populären Tierfilmers Bernhard Grzimek zusammen. Ihr Ziel: Die Europäische Wildkatze wieder in ihre bayerische Heimat zurückholen. 1984 starteten sie ein Zucht- und Auswilderungsprojekt. Doch auch wenn eine Tierart ursprünglich in einem Gebiet heimisch war, ist das Wiedereinbürgern keine einfache Sache:

  • Es muss geprüft werden, wie die Überlebensaussichten aktuell sind und ob alle Gründe, die zum Aussterben der Art geführt haben, nicht mehr oder nicht mehr in diesem Ausmaß existieren.
  • Die Tiere müssen gezüchtet oder aus einem anderen Gebiet entnommen werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass dadurch keine andere Population gefährdet wird.

Die Wiedereinbürgerung der Wildkatzen in Bayern wurde nach reichlicher Überlegung und in enger Abstimmung vor allem mit den Forstverwaltungen und Jägern gewagt.

Projekt bayerische Wildkatze: Auswilderung und Zucht

Beim bayerischen Wildkatzenprojekt wurde auf den Einsatz von Tieren aus der freien Natur, sogenannte Wildfänge, verzichtet. Wenn Tiere für ein Auswilderungsprojekt aus einer frei lebenden Population entnommen werden, kann diese dadurch geschwächt werden. Das wollte man vermeiden. Basis der Auswilderungsaktivitäten waren deshalb von Anfang an gezüchtete Tiere.

Die Zucht begann 1984 in vier Gehegen in der eigens eingerichteten Wildkatzen-Zuchtstation im Schlosspark von Wiesenfelden. Die Anlage bestand aus acht Großraum- und sechs kleineren Gehegen. Bei der Einrichtung nahmen die Wildkatzen-Experten des BN auf die Bedürfnisse der Wildkatzen besondere Rücksicht: Es gab ausreichend Versteckmöglichkeiten, Kletterbäume, Aussichtspunkte sowie natürliche und künstliche Höhlen für die Jungenaufzucht.

Die ersten Auswilderungen fanden im Vorderen Bayerischen Wald statt. Dort wurden gut 100 Tiere freigelassen. Im Steigerwald durften in den 1980er-Jahren insgesamt 64 Tiere ihre Käfige verlassen. Die meisten Wildkatzen, insgesamt mehr als 400, wurden im Spessart ausgewildert. 
Bald stellte sich heraus, dass es nicht einfach ist, eine ausgerottete Tierart wiedereinzubürgern. Zuerst dachte man, es würde genügen, die Tiere in einem passenden Lebensraum freizulassen, doch leider starben viele dieser Tiere. So reifte bei Hubert Gebhard aus Rothenbuch die Idee, die Katzen dort auf die Welt kommen zu lassen, wo sie später leben sollten. Der im Spessart tätige Förster engagierte sich stark für den Artenschutz und unterstützte den BN. Sebastian Schönauer, stellvertretender BN-Vorsitzender und damals zweiter Bürgermeister von Rothenbuch, nahm die Idee begeistert auf. So entstand mitten im Wald der Spessartgemeinde ein zweites Zucht- und Auswilderungsgehege. Von 1993 an züchtete Hubert Gebhard dort mit drei Katzenpaaren. Bis 2009 wurden 127 Tiere ausgewildert.

Die in naturnahen Laubwäldern verborgen gelegenen, 100 Quadratmeter großen Käfige waren mit einer Vielzahl von Verstecken ausgestattet. Waren die Jungkatzen im Spätherbst groß genug, separierten die Wildkatzen-Experten sie in einer Hälfte des Zuchtkäfigs und impften sie. Zur Kennzeichnung bekamen sie einen Mikrochip eingesetzt. Circa drei Wochen später öffnete Hubert Gebhard die Käfigtüre und die Jungkatzen brachen zu ersten Erkundungsgängen auf. Immer wieder kehrten sie freiwillig in den Aufzuchtkäfig zurück, da noch die Mutterbindung bestand und für die erste, harte Zeit der Selbständigkeit Futter bereitstand. So konnten sich die jungen Samtpfoten langsam an die Freiheit gewöhnen. Das war der Schlüssel zum Erfolg.

Wichtige Informationen zur Auswilderung von Wildtieren gibt die International Union for Conservation of Nature (IUCN) in der Broschüre „IUCN Richtlinien für Wiedereinbürgerungen“.

2009 zeigten die Verbreitungskarten, dass die Auswilderungsaktionen beendet werden konnten. Im Spessart hatte sich eine eigenständige Wildkatzenpopulation etabliert. Von dort eroberten einige Wildkatzen bereits Reviere in den umliegenden Wäldern. Ein großer Erfolg für den BN und für Hubert Gebhard, der sich dank der Unterstützung der Gemeinde Rothenbuch und der Bayerischen Staatsforsten intensiv um die Auswilderung der nachgezüchteten Wildkatzen im Spessart hatte kümmern können. Der BUND Naturschutz bedankte sich mit einer Abschlussfeier bei ihm und allen anderen Unterstützern, die zur erfolgreichen Rückkehr der Wildkatze nach Bayern beigetragen hatten.

Forschung für die Wildkatze

Mit dem Abschluss des Auswilderungsprojekts war die Arbeit aber nicht getan. Wie ließe sich verfolgen, ob die Wiedereinbürgerung langfristig gelingt? In welchen Teilen Bayerns ist die Wildkatze mittlerweile heimisch? Wie weit wandert sie? Wie groß und stabil sind die Vorkommen? Welche Tiere stammen aus dem BN-Auswilderungsprojekt und welche sind vielleicht zugewandert? 
Diese und ähnliche Fragen wollte der BN in Zusammenarbeit mit seinem Bundesverband BUND klären, um wichtige Informationen für den Schutz der Wildkatze zu erhalten. Die Verbände entwickelten deshalb gemeinsam mit dem Senckenberg-Institut und dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) eine neue Methode speziell für die Wildkatzen-Forschung. Es galt einen Weg zu finden, um ein Tier nachzuweisen, das nicht gesehen werden will und einer anderen Art zum Verwechseln ähnlich sieht: So kam man zur Lockstock-Methode. Sie bringt die scheue Waldbewohnerin sozusagen freiwillig zu einer Art „genetischen Fingerabdruck“. Sie klärt Verwandtschaftsbeziehungen und unterscheidet klar zwischen Haus- und Wildkatze. Das für die Genuntersuchung nötige Material lässt sich aus Haaren, Knochen, Zähnen, Blut und anderen Gewebeteilen von lebenden Katzen, Totfunden und selbst von viele Jahrzehnte alten Präparaten gewinnen. Oft genügt schon ein einziges Haar für die Entschlüsselung der Erbgutinformation.

Die Lockstockmethode: der Trick mit dem Duft

Die Vorliebe von Katzen für Baldrian – bestens bekannt von unseren Stubentigern – nutzten die Wildkatzen-Experten des BN, um dem heimlichen Jäger auf die Schliche zu kommen. Und so funktioniert es: Raue, mit Baldrian beköderte Holzpflöcke werden im Wald in den Boden gesteckt. Angelockt durch den Duft kommen Wildkatzen – und natürlich auch Hauskatzen – zu den Stöcken, reiben sich daran und hinterlassen so einige Haare an der rauen Oberfläche. Aus den Haarwurzeln können die Genetiker dann Genmaterial der Tiere isolieren. 

Neue Wildkatzen-Vorkommen nachgewiesen

Wie effektiv die neue Methode ist, zeigte sich bereits in den Wintern 2013 und 2014. 200 ehrenamtliche BN-Aktive, Jäger und Förster verteilten damals mehr als 1.000 Lockstöcke in vorwiegend nordbayerischen Wäldern. Ohne ihr Engagement wäre die Untersuchung in der Art nicht möglich gewesen. Die anschließende Auswertung belegte neue Wildkatzenvorkommen im Steigerwald, im Nürnberger Reichswald und im Jurabogen bis nördlich der Donau. Worüber sich die Experten aber besonders freuten: Erstmals konnte die Samtpfote südlich der Donau, im Raum Augsburg und im Unterallgäu nachgewiesen werden. Außerdem erbrachte die Aktion Gewissheit darüber, dass es in Bayern kaum zur Verpaarung zwischen Hauskatze und Wildkatze kommt, obwohl dies biologisch möglich wäre. Warum dies so ist, darauf haben die Experten bisher noch keine Antwort gefunden.

Die ermutigenden Ergebnisse des einmaligen Bürger-Forschungsprojekts waren Anlass dafür, auch Südbayern in einer konzertierten Aktion genauer unter die Lupe zu nehmen. Im Februar 2015 startete dort eine weitere Lockstock-Aktion um festzustellen, wie weit sich die Wildkatze im Süden des Freistaates bisher ausbreiten konnte. Mit erfreulichem Ergebnis: 16 Wildkatzen konnten sicher nachgewiesen werden. Nun ist klar, dass die Wildkatze mittlerweile auch in Südbayern zuhause ist. Das Projekt wurde von BN, Bayerischem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Bayerischen Staatsforsten (BaySF) gemeinsam durchgeführt. Die Beteiligung von Hunderten Freiwilligen macht das Vorhaben zu einem bundesweit einzigartigen „Citizen-Science-Forschungsprojekt“ zum Schutz der biologischen Vielfalt. 

Auch für die weiteren Untersuchungen 2019/2020 waren fast 200 Ehrenamtliche im Einsatz, darunter Kinder- und Jugendgruppen. 2019 fand eine Wiederholungskartierung in Nordbayern statt, von Januar bis April 2020 eine Lockstockuntersuchung in Südbayern. Dabei gelangen wiederum Erstnachweise, da aber nur etwa die Hälfte an Lockstöcken im Vergleich zu 2015 ausgebracht werden konnte, lag auch die Zahl der Funde unter den früheren Ergebnissen. Dennoch ist von einer Wiederbesiedlung Bayerns auszugehen, da im Süden vor allem männliche Tiere nachgewiesen wurden.