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Nationalpark-Philosophie: Natur Natur sein lassen

Die Formel „Natur Natur sein lassen“ von Hans Bibelriether hat Geschichte geschrieben. Sie prägte und prägt die Geschichte des Nationalparks Bayerischer Wald entscheidend mit und ist das Motto des Parks. Hier darf sich Natur auf einem wachsenden Teil der Gesamtfläche nach ihren eigenen Gesetzen entwickeln – ohne menschliche Eingriffe.

Der Satz folgte einer völlig neuen Philosophie des Naturschutzes. Bis zum Beginn der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts hieß Naturschutz Arten- und Biotopschutz – und das verstand sich inklusive menschlicher Eingriffe, Hege und Pflege. Da galt Windbruch als Katastrophe und Schädlingsbefall musste bekämpft werden. Anders Bibelriethers Ansatz: Geschützt werden muss die natürliche Entwicklung von Ökosystemen, die Kraft der Evolution. Raumschutz statt Artenschutz. Oder um es mit dem Schriftsteller Harald Grill zu sagen, einem großen Kenner des Bayerischen Waldes: „Niemand kann genau sagen, wie es weitergeht.“ Und genau darum geht es: Etwas aus menschlicher Beherrschung entlassen. Das Ziel ist und bleibt laut dem heutigen Nationalparkchef Franz Leibl: urwaldähnliche Waldstrukturen.

Windwurf als Grundstock

Das Erkennen dieser Selbstgestaltungskraft der Natur begann im Jahr 1972. Damals hatte ein Sturm im Nationalpark rund 3.000 Fichten umgerissen. Gegen viele Widerstände vor allem der Forstämter blieben einige Dutzend Bäume liegen. Ein Windwurf, der schon zehn Jahre danach den Grundstock gebildet hatte für einen naturnahen und stabilen Jungwald, der sich völlig ohne menschliches Zutun, ohne irgendwelche Pflanzungen entwickelte: artenreich, differenziert, mit Wachstumschancen für neue Pflanzen, Ansiedlungschancen für neue Tierarten. 

Als dann im Jahr 1983 ein weiterer Gewittersturm über der Region wütete, blieben auf der Basis dieser Erfahrungen in der damals 6.500 Hektar großen Kernzone des Naturparks Windwürfe liegen. Und es zeigt sich: Die Natur regeneriert sich selbst. Auf ihre Vitalität ist Verlass, wenn der Mensch sie nicht nutzt, nicht gestalterisch eingreift. Nur beim Wildbestand gibt es Ausnahmen: Hirsche werden weiter geschossen, um dem Jungwald angesichts des ansonsten zu starken Wildverbisses und fehlender großer Beutegreife wie Wolf und Bär eine Chance zu geben. Die Rehjagd hingegen hat bereits der Luchs wieder übernommen.

Es gibt Tiere, die den Schritt hin zu mehr Wildnis, mehr Urwaldähnlichkeit anzeigen. Tiere wie den Habichtskauz, die als Urwaldreliktart ein guter Anzeiger echter Wildnis ist. Denn genau dieser Vogel findet sich in und profitiert von den Neuwald-Arealen. Man zählt derzeit 50 Brutpaare im Bayerischen Wald und benachbarten tschechischen Waldgebieten.

Borkenkäfer als natürlicher Förster

Trotz gesellschaftspolitischer Hürden, die zu überwinden waren, zahlreichen Kompromissen und Widerständen gegen das Ziel „Natur Natur sein lassen“, ist der Nationalpark heute ein einmaliges Highlight der biologischen Vielfalt. Der Mut zum Nichtstun und ohne lenkende Eingriffe des Menschen den natürlichen Prozessen freien Lauf zu lassen, ist für die Bewahrung der Arten- und Lebensraumvielfalt in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Naturereignisse wie Windwurf oder Schneebruch sind zusammen mit Insekten- und Pilzbefall wesentliche Faktoren der natürlichen Waldentwicklung in einem Nationalpark. Und gerade der Borkenkäfer hat sich als eine Schlüsselart dieser dynamischen Prozesse des Waldumbaus sowie für die darauf angewiesenen seltenen und gefährdeten Arten erwiesen. Die Naturzonen und damit die Wildnisentwicklungsflächen müssen deshalb auch im Erweiterungsgebiet des Nationalparks so schnell wie möglich vergrößert werden.