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David gegen Goliath: der Widerstand gegen die WAA

Von wegen ruhiges Hinterland: Die strukturschwache Oberpfalz würde die WAA schon hinnehmen, dachte man in München. Doch was anfangs aussah wie ein Kampf von David gegen Goliath, wendete sich im Laufe der Zeit. Nach Jahren mit Protesten, Einwendungen und Klagen war die WAA am Ende zu teuer und politisch nicht durchsetzbar. 

Im Jahr 1979 einigten sich Bund und Länder im so genannten Entsorgungsbeschluss auf den Bau einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage. Dort sollte aus den verbrauchten Brennstäben der Atomkraftwerke Uran und Plutonium gewonnen werden. Im Landkreis Schwandorf kursierten zu dieser Zeit bereits Gerüchte um eine „Atomfabrik“. Konkret wurde die Gefahr aber erst zwei Jahre später: Nachdem Standort-Alternativen gescheitert waren, erklärte Bayerns Umweltminister Dick 1981, eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) bei Schwandorf liege „im Bereich des Möglichen“. Als Reaktion darauf gründete sich im Oktober 1981 in Schwandorf die „Bürgerinitiative Schwandorf gegen die WAA“ mit dem Ziel, die Anlage zu verhindern. Mit dabei waren viele Aktive des BUND Naturschutz (BN) wie Dr. Hartmut Augustin, damals Vorsitzender der  BN-Kreisgruppe Schwandorf, Klaus Pöhler, der später sein Nachfolger wurde, Wolfgang Nowak, Hermann Birnthaler, Arnold Kimmerl, Bruno Rettelbach, Herbert Kühnel und viele andere.

Im Februar 1982 organisierte die Bürgerinitiative (BI) in Schwandorf die erste Großkundgebung gegen die WAA. Hauptredner waren Hubert Weiger, damals Beauftragter des BUND Naturschutz für Nordbayern, und Prof. Dr. Robert Jungk, Zukunftsforscher und über die Gruppe Ökologie eng mit dem BN und seinem Bundesverband, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), verbunden. Im Laufe der Jahre folgten viele weitere Veranstaltungen, Demonstrationen, Vorträge und Aktionen. Durch seine intensive Öffentlichkeitsarbeit konnte der BN viele Menschen überzeugen und neue Mitstreiter gewinnen. Es wurden Rundschreiben versendet, Flugblätter gedruckt, Vorträge oder Mahnwachen organisiert. Gleichzeitig bereiteten BN und BI mit dem Würzburger Rechtsanwalt Baumann Einsprüche und Klagen vor. 

Widerstand am Bauzaun

Der BN-Vorsitzende Hubert Weinzierl, der BN-Energiereferent und Atomphysiker Dr. Ludwig Trautmann-Popp und Hubert Weiger warnten unermüdlich vor der Atomtechnologie und waren häufige Gäste in Wackersdorf. „Wir haben Angst, dass dieses kostenexplosivste Projekt der Industriegeschichte Steuergelder und Investitionsmittel blockiert und dass die Stromkosten steigen, ohne dass Energie eingespart und ohne dass die Entsorgung des Kernkraftabenteuers gelöst wird“, fasste Hubert Weinzierl bei einer Kundgebung in Schwandorf zusammen. Zum Symbol und Treffpunkt des friedlichen WAA-Widerstands wurde in dieser Zeit das Franziskus-Marterl bei Altenschwand. Aktive aus BN und BI hatten den Bildstock 1984 auf einem vom BN gekauften Grundstück gebaut. Die sonntäglichen Andachten am Marterl und der anschließende Gang zum Bauzaun wurden für viele BN-Aktive in den folgenden Jahren zum Ritual. 

Etwa zur gleichen Zeit warb der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß für den Standort Wackersdorf: Die WAA sei „so gefährlich wie eine Fahrradspeichenfabrik“, meinte er, und versprach den Menschen im Landkreis mehr als 3.000 Arbeitsplätze. Verlockend für eine Region, die damals mit rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit kämpfte. Den in der Betreibergesellschaft DWK (Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen) zusammengeschlossenen Energieversorgern versprach er eine reibungslose Realisierung und lobte die „industriegewohnte Bevölkerung“ im Landkreis. Die DWK ihrerseits richtete gleich nach der Standortvorauswahl 1981 einen „Info-Shop“ in Schwandorf ein. Sie warb mit Hochglanzbroschüren für den Bau und verteilte großzügige Spenden. Vereine und die örtliche CSU freuten sich über Zuwendungen und die Gemeinde über Gewerbesteuer-Vorauszahlungen. Dass all dies den massiven Widerstand nicht verhindern konnte, ahnten die Verantwortlichen damals noch nicht. 

Lex Schuierer

Auch Hans Schuierer, SPD-Landrat und BN-Mitglied, freute sich anfangs über die Arbeitsplätze für seinen Landkreis. Nachdem er sich die Pläne angesehen und mit Experten gesprochen hatte, änderte er allerdings seine Meinung: „Als man mir sagte, die Anlage brauche den 200 Meter hohen Kamin, damit die radioaktiven Schadstoffe großflächig verteilt werden, war mir klar, dass ich nicht dafür sein kann“, erinnert er sich. Schuierer wurde zum engagierten WAA-Gegner und ließ sich auch durch Drohungen, Überwachung und ein Disziplinarverfahren nicht einschüchtern. Aus Sorge um das Grundwasser lehnte er 1984 die öffentliche Auslegung des Bebauungsplans ab. Die Staatsregierung schuf daraufhin ein Gesetz, das als „Lex Schuierer“ in die Geschichte einging und ihr erlaubte, den Landrat bei der von ihm nicht erteilten Baugenehmigung zu umgehen, indem dafür die Regierung der Oberpfalz für zuständig erklärt wurde. „Ich glaube, dass damals nicht nur die Gesundheit unserer Menschen und der Natur schlechthin gefährdet waren, sondern es waren auch die Demokratie und unser Rechtstaat gefährdet“, fasst er die Situation von damals zusammen. 

Zu Beginn des Jahres 1985 hatten sich Betreiber und Regierung endgültig auf den Standort Wackersdorf festgelegt. Unter massivem Polizeischutz begann man im folgenden Winter 200 Hektar Wald zu roden, planierte die Fläche und ließ sie durch einen meterhohen Zaun schützen. Gleichzeitig intensivierte sich der Widerstand. Menschen, die noch nie auf die Straße gegangen waren, demonstrierten Woche für Woche gegen die WAA. BI und BN organisierten den friedlichen Widerstand und vernetzen sich über die Bundesgrenzen hinaus. „Wir haben jede Woche am Bauzaun protestiert und dort auch Feste wie Fasching, Ostern, Silvester oder Weihnachten gefeiert“, erinnert sich der heutige BN-Kreisgruppen-Vorsitzende Klaus Pöhler. Im Dezember 1985 feierte Hubert Weinzierl am Bauzaun seinen 50. Geburtstag und servierte die – dank des Polizeiaufgebots – „bestbewachte Geburtstagstorte der bundesdeutschen Geschichte“.

Massendemos und Eskalation

Als der Verwaltungsgerichtshof kurz darauf die Genehmigung zur Rodung erteilte, errichteten Atomkraftgegner dort ein Hüttendorf, in dem etwa 1.000 Menschen übernachteten. Anwohner, BN-Aktive und Bürger solidarisierten sich mit den Bewohnern, sorgten für Verpflegung, Duschgelegenheiten oder übernahmen Fahrdienste. Das Hüttendorf wurde jedoch schon zwei Tage später geräumt, wobei rund 900 AKW-Gegner festgenommen wurden. An Ostern 1986 demonstrierten schließlich 100.000 Menschen zum größten Teil friedlich gegen die WAA. Die Polizei setzte Schlagstöcke, Wasserwerfer und das nach der Genfer-Konvention geächtete CS-Gas ein. Ein 38-jähriger Demonstrant erlitt daraufhin einen Asthma-Anfall und verstarb kurz darauf im Rettungswagen.

Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 erreichte der Widerstand einen weiteren Höhepunkt. Zehntausende demonstrierten an den darauf folgenden Pfingsttagen gegen die Anlage. Während der BUND Naturschutz und die Bürgerinitiative konsequent zur Gewaltfreiheit aufriefen, kam es doch immer wieder zu Ausschreitungen. Hier entlud sich die Wut über das massive Vorgehen der Polizei und die kompromisslose Haltung der Staatsmacht. Demonstranten warfen Steine, sägten Löcher in den Bauzaun und zündeten zwei Einsatzfahrzeuge an. Wieder setzte die Polizei Schlagstöcke, Wasserwerfer und CS-Gas ein. Bei den Auseinandersetzungen wurden rund 600 Menschen, darunter auch friedlich demonstrierende, zum Teil schwer verletzt. 

Der Druck wird zu groß - das Ende

Zwei Monate später setzten Herbert Grönemeyer, Rio Reiser, BAP, Die Toten Hosen und viele andere Musiker beim Anti-WAAhnsinns-Festival in Burglengenfeld ein Zeichen gegen die WAA. Im September 1986 folgte das dreitägige BUND-Wackersdorfforu, bei dem neben Diskussionen und Vorträgen von renommierten Wissenschaftlern ein umfangreiches Programm mit Künstlern und Kulturschaffenden für Unterhaltung sorgte.

Gleichzeitig ging auch der juristische Kampf gegen das Bauprojekt weiter und erzielte erste Erfolge: So hob der bayerische Verwaltungsgerichtshof im April 1987 die erste Teilerrichtungsgenehmigung auf, im Januar 1988 erklärte er den ganzen Bebauungsplan für nichtig, unter anderem, weil das Hauptprozessgebäude wesentlich größer war als ursprünglich vorgesehen. Dennoch wurde auf Basis von Einzelbaugenehmigungen weitergebaut. Im Sommer 1988 startete in Neunburg vorm Wald der zweite amtliche Erörterungstermin, der im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens vorgeschrieben war. Waren beim ersten Erörterungstermin 1984 rund 50.000 Einwendungen von Bürgern eingegangen, kamen jetzt 881.000 zusammen. Allein die Einwendungen des BUND Naturschutz füllten 18 Aktenordner.

Dennoch wurde der Erörterungstermin nach wenigen Tagen abgebrochen – ohne überhaupt alle Teilnehmer angehört zu haben. Und auch dieses Mal wurde weitergebaut. Ein Jahr später wendete sich allerdings das Blatt: Aufgrund der andauernden Proteste und juristischen Unsicherheiten bewerteten die Energiekonzerne das Projekt nun als zu langwierig und zu teuer. Sie hatten deshalb bereits Verhandlungen über eine Wiederaufarbeitung in La Hague aufgenommen. Am 31. Mai wurde der Baustopp offiziell verkündet. Atomkraftgegner feierten in Wackersdorf und an vielen anderen Orten, auch wenn sie schon damals ahnten, bis zum endgültigen Atomausstieg würde es noch eine ganze Weile dauern.