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Widerstand gegen die Müllverbennungsanlage Eschenlohe

Vor allem der Garmisch-Partenkirchner Landrat Wilhelm Nau verfolgt die Planungen für den Bau der Anlage. Unterstützung holt er sich von Max Streibl, dem damaligen Minister für Umweltfragen. Auf Seiten der Gegner formiert sich ein breites Bündnis aus Bürgern und Verbänden.

Landrat Nau legt sich über Jahre ins Zeug, damit die Anlage gebaut wird. So schreibt er im Mai 1973 an Max Streibl, CSU-Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen: „Ein weiteres Hinausschieben des Vorhabens kann nicht mehr verantwortet werden.“ Das Raumordnungsverfahren „sollte ursprünglich in wenigen Wochen durchgezogen werden. Es ist leider heute noch nicht, fast 1 1/2 Jahre nach seiner Einleitung, abgeschlossen. Der Kreisausschuss hat sich aufgrund der von den Gegnern des Vorhabens gehegten Befürchtungen ohne Rücksicht auf die Mehrkosten entschlossen, die Anlage zusätzlich mit einer Rauchgaswäsche zu versehen, damit die Chloridemissionen auf ein Mindestmaß reduziert werden können und jegliche Klimabeeinflussung im negativen Sinn ausgeschlossen ist.“  

Streibl, der aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen (Oberammergau) stammt, ist für die MVA. „Der Bau der Anlage hat weder eine Verunstaltung der Landschaft noch Nachteile für den Fremdenverkehr zur Folge. Das Biotop ,Murnauer Moos' wird durch die Abgase der Müllverbrennungsanlage keine negative Veränderung erfahren. Die Abfallverbrennungsanlage wird im Gegenteil die Möglichkeit bieten, wilde Müllkippen, die seit Jahrzehnten als Dauerbrenner Rauch, Gestank und Schadgase unmittelbar über dem Boden emittieren, zu beseitigen und in Zukunft nicht mehr entstehen zu lassen.“ Dem Naturschutz im Werdenfelser Land werde mit dem Bau ein „Dienst“ erwiesen. Auch Dr. Josef Vogl, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Umwelt, zählt zu den Befürwortern: „Die Situation der Abfallbeseitigung ist nirgends in Bayern so schlecht wie im Landkreis Garmisch-Partenkirchen.“ Darüber hinaus betont Vogl: „Die Höhe des Schornsteins schließe eine Konzentration von Schadstoffen am Boden und somit eine Gefahr für Mensch, Tier und Pflanze aus. Auch bei Föhn seien diese Abgase nicht meßbar. Die im Landkreis ansässigen Industriebetriebe hätten in dieser Hinsicht eine gefährlichere Wirkung.“ 

Landrat Nau rät Gegnern, in die Schweiz zu schauen. Dort gebe es eine große Zahl von Müllverbrennungsanlagen, „die fast ausschließlich in Wohngebieten stationiert seien. Er sei überzeugt, daß die fortschrittliche Schweiz nicht beabsichtige, auf fremdenverkehrsmäßigem Gebiet Selbstmord zu begehen. Man solle nicht vergessen, daß eine einzige brennende Müllhalde eine Luftverunreinigung bringe, die um ein Vielfaches höher liege, als bei der kontrollierten Verbrennung allen Mülls des Landkreises in einer MVA.“ 

Bund Naturschutz gemahnt an nachfolgende Generationen

Als die MVA-Pläne bekannt werden, regt sich Widerstand. Der BUND Naturschutz in Bayern protestiert aufs Schärfste: „Will man dieses wertvolle Naturgebilde und seine prächtige Bergumrahmung, das Eingangstor zum Werdenfelser Land, durch einen Gebäudekomplex mit einem mindestens 70m hohen Schornstein für alle Zeiten verunstalten? Will man das vielgesungene Lied vom schönen Loisachtal künftig Lügen strafen? Wenn diese Anlage steht, gibt es keine Handhabe mehr, weitere Industrieanlagen im Randbereich des Murnauer Mooses zu verhindern. Der Platz bei Eschenlohe ist also ein Lückenbüßer, eine gewissenhafte, objektive Prüfung aller nur denkbaren sonstigen Standorte hat nicht stattgefunden.“

Der BUND Naturschutz bemängelt, dass kein Raumordnungsverfahren stattgefunden hat und keine Botaniker, Zoologen und Spezialmediziner herangezogen worden seien. „Gerade bei einer solch großen, folgenschweren und kostspieligen Anlage, die den Anforderungen noch vieler nachfolgenden Generationen Rechnung tragen muss, muss der Standort, zumal an einer so kritischen Stelle, von Anfang an gewissenhaft geprüft werden und zwar auch unter Mitwirkung aller langjährigen wirklichen Kenner des Gebietes. Der Plan ist aber im wesentlichen nur von dem örtlichen Bürgermeister und Gemeinderat, von dem Landrat und Kreistag ausgearbeitet und vorangetrieben worden. Die Absicht ist unverkennbar, dass hier vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen, bevor der gesetzlich vorgeschriebene Weg durchlaufen und alle Instanzen und Fachleute, auch die gegensätzlich eingestellten, gehört worden sind.“

Werde die Anlage gebaut, „wird die ganze weitere Naturschutzarbeit im Murnauer Moos in Frage gestellt und dieses herrliche einmalige Gebiet, diese wertvolle Erholungslandschaft für den gehetzten modernen Menschen, dieses interessante Studien- und Forschungsgebiet für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs der langsamen Vernichtung ausgeliefert. Die bayerische Staatsregierung und alle ihre Erklärungen und Bemühungen im Naturschutz werden dann unglaubwürdig.“ 

Bürger kritisieren Standortwahl und Auswirkungen

Auch „besorgte Bürger“ aus Eschenlohe melden sich zu Wort. Sie formulieren eine Resolution. Darin heißt es: „Eschenloher Bürger informiert euch! Schließt euch der Resolution vom 25.10.1971 der Murnauer Bürger wie folgt an:

  1. Im Murnauer Moos herrschen bekanntlich, insbesondere im Frühjahr und Herbst lang anhaltende Nebel, welche den Salzsäureniederschlag und sonstige Giftgase in konzentrierter Form über mehrere Tage in diesem Gebiet speichern werden. Unter solchen Witterungsverhältnissen festgehaltene Gasmengen müssen sich zwangsläufig auf die Gesundheit der hier lebenden Bürger auswirken.
  2. Auch die Terrainkuren der Siemens-Werke in der Gemeinde Eschenlohe sind in Frage gestellt. Ferner wird der Fremdenverkehr in dem Naherholungsraum vor München einen erheblichen Rückgang erleiden.
  3. Die Alm - und Grünlandwirtschaft wird durch den Salzsäureniederschlag auf die Dauer erheblich beeinträchtigt, wenn nicht gar unmöglich gemacht, auch unsere Nadelholzwälder sterben nach Aussage des Direktors von der Müllverbrennung Unterföhring ab. Außerdem wird der Gemüseanbau der Kleingärten in Frage gestellt.
  4. Zweifellos wird der ganze Haus- und Grundbesitz in der Nähe der Müllverbrennungsanlage fast gänzlich entwertet.
  5. Die geplante Müllverbrennungsanlage liegt in einem Hochwassergebiet. Bei Katastrophenfällen ist vorauszusehen, daß der lagernde Müll über einen großen Teil des Murnauer Mooses geschwemmt wird. 
  6. Außerdem ist bekannt, wie vom Direktor der Müllverbrennung bestätigt wird, mit starker Lärm- und Geruchsbelästigung zu rechnen.
  7. In der Wahl des Standortes .. ist nicht von sach- und zweckdienlichen Gesichtspunkten ausgegangen worden, sondern das Füllen des Gemeindesäckels scheint hier offensichtlich eine wesentliche Rolle gespielt zu haben und ein Raumordnungsverfahren wurde von der Gemeindeaufsichtsbehörde nicht für notwendig gehalten.“ 

Breite Unterstützung für den Widerstand

In Murnau formiert sich ein Gremium für Umweltschutz. Der Vorsitzende Franz Jaeger beklagt: „Die Anlage ist ohne jegliche vorhergegangene Gutachten und Stellungnahmen der Fachbehörden in Auftrag gegeben worden.“ Und weiter: „Die Bemühungen des Gremiums sind von höchster Stelle fortgesetzt durch beschwichtigende Worte neutralisiert, z.T. sogar unterwandert worden.“ Er stellt die Frage: „Ist die geplante M.V.A. Eschenlohe als Alpenskandal zu bezeichnen, in dem die staatliche Manipulation dominiert?“ Jaeger weist den Vorwurf nachdrücklich zurück, „daß das Gremium eine Gruppe von Besserwissern sei, von übereifrigen Laien, die die Bevölkerung zu Unrecht beunruhigen u.a.m. Das Gremium hat von Anfang an die Bevölkerung nur nach sorgfältiger Prüfung der Sachlage durch qualifizierte Experten aufgeklärt.“ Jaeger spricht darüber hinaus von einer Fehlplanung: „Ursprünglich sollte die Anlage 2,5 Millionen DM kosten, heute kostet sie bereits über acht Millionen DM“. Das Gremium für Umweltschutz erregt Aufsehen mit einem Testfeuer. Es wurde bei mittlerer Inversionslage nahe Eschenlohe entzündet und in Abständen fotografiert, wie sich der Rauch ausbreitet und im Tal hängen bleibt. 

Der Biologe Prof. Dr. Wolfgang Engelhardt, Präsident des Deutschen Naturschutzrings, kritisiert die Stelle, wo die MVA gebaut werden soll: „Der Standort ist als ausgesprochen schlecht zu bezeichnen, und zwar weil er mit einer Fläche von 1,8 ha bei weitem zu klein ist, der Grundwasserstand viel zu hoch liegt, der vorgesehene Platz zwischen Bundesstraße und Loisach eingepfercht ist, keine Möglichkeit für eine Großdeponie (Schlacke) geschaffen werden kann, die Zufahrt des Mülls und die Abfahrt der unverbrennbaren Reste eine starke zusätzliche verkehrsmäßige Belastung des sowieso engen Loisachtales darstellt.“ Engelhardt spricht sich für eine leistungsfähige Großanlage für die Kreise Garmisch-Partenkirchen, Weilheim und Bad Tölz aus. „Aber, auf der anderen Seite muß man als Fachmann auch ganz deutlich sagen, daß das Sankt-Florians-Prinzip uns nicht weiterführt. Die wilden Deponien im Landkreis müssen weg und es muss eine befriedigende Lösung gefunden werden.“ 

Auch das Kuratorium Bad Murnau sträubt sich gegen die MVA: „Mitten in der Silhouette des zwischen die Berge eingeschnittenen unvergleichlich schönen Loisachtales würde wie ein Schandpfahl für die Fremdenverkehrserwartungen der die Landschaft weithin verunstaltende hohe Kamin aufragen.“

Eine derartige MVA müsse mindestens in die „sich von Westen nach Osten erstreckende aufgelockerte Industriezone von Schongau über Peiting, Peißenberg, Weilheim, Penzberg, Geretsried, Rosenheim, Traunreut bis Burghausen verlegt werden. Dort bestehen auch bereits Industrieanlagen, welche die Energie- und Wärmekapazitäten einer Müllverbrennungsanlage sofort ausnutzen können.“ 

Die "Mooshex" Ingeborg Haeckel greift ein

Dr. Ingeborg Haeckel (1903-1994), von Gegnern "Mooshex" genannt, Murnauer Ortsbeauftragte für Naturschutz und stellvertretende Vorsitzende des Gremiums für Umweltschutz, wendet sich direkt an Minister Streibl: „Will sich die Bayerische Staatsregierung wirklich vor der ganzen Welt bloßstellen und ein so bedeutendes Schutzgebiet, das einzigartig in ganz Europa dasteht, preisgeben?“  

Haeckel moniert unter anderem, dass die „ausgesprochen ungünstigen meteorologischen Verhältnisse bei Eschenlohe“ völlig übergangen worden seien, „d.h. die vorherrschenden nordsüdlichen und südnördlichen Luftströmungen, der Föhn, die starke Nebelbildung und vor allem die häufigen Inversionslagen“.

Die Murnauer Ehrenbürgerin, auch Ehrenmitglied beim BUND Naturschutz, setzt alle Hebel in Bewegung, um die MVA zu verhindern. Davon zeugt ein Karton in ihrem Nachlass. So kontaktiert sie zum Beispiel Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). Den BN-Vorsitzenden Hubert Weinzierl tadelt Haeckel: „Der BUND Naturschutz hat sich in der Angelegenheit Müllverbrennungsanlage bisher nicht so eingesetzt, wie es die grundsätzliche Bedeutung dieses Vorhabens erforderte. Denn es geht um nicht weniger als die Freihaltung des gesamten deutschen Alpenraumes von derartigen Anlagen und von deren Folgen. Es geht aber auch um das Ansehen des BUND Naturschutz, das bereits in unserem Gebiet Einbußen erlitten hat und weitere schwere Einbußen erleiden wird, wenn es nicht gelingt, die Anlage aus Eschenlohe an einen anderen Ort zu verlegen.“  Die Rettung und der Schutzstatus des Murnauer Mooses sind vor allem Haeckel zu verdanken. 

Der Deutsche Rat für Landespflege lehnt die MVA ebenfalls ab, die Industrie-  und Handelskammer hält den Standort für ungeeignet. Die Gemeinde Eschenlohe ist erst dafür - und später dagegen. Im Dezember 1971 beantragt der Gemeinderat bei der Regierung von Oberbayern ein Raumordnungsverfahren. „Der Gemeinderat hat durch Mehrheitsbeschluss den Baugrund zu der vorgesehenen Anlage an den Landkreis veräußert. Ebenso wurde durch Mehrheitsbeschluß die bauliche Anlage bewilligt. Erst nachdem dies geschehen war, wurde in Murnau eine Aufklärungsversammlung durchgeführt. Eine Versammlung in Eschenlohe unter Teilnahme von Experten für Müllbeseitigung zeigte erst die große Problematik der Angelegenheit auf.“ 

In ganz Deutschland sei „kaum ein Ort denkbar, der unter dem Gesichtspunkt der Landschaftspflege für eine Müllverbrennungs-Anlage mit hohem Schornstein und Abgasentwicklung weniger geeignet wäre“, tut die Gemeinde kund. 

Gemeinden wehren sich

In einem Schreiben an Streibl werden 1973 „falsche Informationen“ genannt und „Unkenntnis der offenen und heimlichen Gefahren“ einer MVA. Weiter heißt es darin, dass „dieser Gemeinderat, sollte Eschenlohe die Müllverbrennungsanlage aufgezwungen werden, alle ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zur Verhinderung der Müllverbrennungsanlage ausschöpfen wird“.

Die Gemeinde Eschenlohe hatte mit einstimmigem Beschluss des Gemeinderats der Firma Jakob Altvater ein auf 99 Jahre befristetes Erbbaurecht eingeräumt. Es ist davon die Rede, dass der Landkreis mit dem Unternehmen auf die Dauer von zehn Jahren einen Betreibungsvertrag abschließt, „unter der Voraussetzung, das das Erbbaurecht an den Landkreis übertragen wird“. Im Januar 1973 wird bekannt, dass der Landkreis die 250 000 D-Mark für das Grundstück noch nicht an die Gemeinde Eschenlohe bezahlt und die Kommune ihrerseits 150 000 D-Mark an Kreisumlage noch nicht beglichen hat. Kurz darauf erklärt sich die Gemeinde bereit, die Fläche zurückzunehmen, wenn der Landkreis die Kosten wie Notargebühren trägt. 

Der Gemeinderat Ohlstadt votiert Ende 1971 einstimmig gegen die MVA. Das Gremium beantragt ebenfalls ein Raumordnungsverfahren. Damit nicht genug: „Schwerste Bedenken“ hat auch das Forstamt. „Es ist aus zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen bekannt, dass mit den Rauchgasen von Müllverbrennungsanlagen insbesondere Chlorwasserstoff, daneben auch Schwefeldioxyd in einer Menge enthalten sind, die an anderen Orten bereits zu schweren Schädigungen der umgebenden Pflanzenwelt geführt haben. In vorliegendem Fall befinden sich in unmittelbarer Umgebung der geplanten Verbrennungsanlage sehr wüchsige und ertragreiche Bauernwaldungen der Gemeinden Eschenlohe und Ohlstadt.“ Der Landtagsabgeordnete Sepp Klasen (SPD) fordert, das Projekt müsse sofort gestoppt werden.