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Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (WAA): Stoppt den WAAhnsinn!

Acht Jahre war der Name Wackersdorf Synonym für die erbitterte Auseinandersetzung um die atomare Wiederaufarbeitung. Mit ihrem klaren Nein zur Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) stellten sich der BUND Naturschutz, die Schwandorfer Bürgerinitiative und viele andere in den 80er-Jahren gegen den Staat und die Energiekonzerne. Die WAA hätte nicht nur die Umwelt und die Gesundheit der Menschen gefährdet, sie bedrohte auch die Demokratie.

Der kleine Ort Wackersdorf in der Oberpfalz schaffte es in den 80er-Jahren fast täglich in die Nachrichten. Regierung und Energiekonzerne hatten die 4.000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Schwandorf als Standort für die atomare Wiederaufarbeitung bestimmt. Im Taxöldener Forst, wenige Kilometer außerhalb des Ortes, sollte aus verbrauchten Kernbrennstäben Uran und Plutonium gewonnen werden. Das Thema WAA spaltete die Menschen bald über Parteigrenzen hinweg. Während Franz-Josef Strauß Aufschwung und sichere Arbeitsplätze versprach, warnte der BUND Naturschutz eindringlich vor den Gefahren und forderte den Ausstieg aus der Atomenergie. Es folgte fast ein Jahrzehnt des Widerstands, der sich unter dem Slogan „Stoppt den WAAhnsinn“ bald bundesweit und über die Grenzen hinweg formierte. 

Gemeinsam mit der Bürgerinitiative Schwandorf gegen die WAA, vielen verbündeten Gruppen und Einzelpersonen setzte sich der BUND Naturschutz gegen die Wiederaufarbeitung ein und stellte sich dabei offensiv gegen den Staat. Mit Aktionen und Veranstaltungen konnten Landesverband, Kreis- und Ortsgruppen viele Menschen überzeugen. So demonstrierten Mitte der 80er-Jahre bis zu 100.000 Menschen am Bauzaun gegen die WAA. Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl erreichten die Proteste 1986 einen weiteren Höhepunkt. Dennoch dauerte es noch drei Jahre, bis 1989 die erlösende Nachricht kam: Das teuerste Industrieprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik war gescheitert. Wackersdorf blieb vor den Gefahren der Atomtechnologie verschont. 


David gegen Goliath: der Widerstand gegen die WAA

Von wegen ruhiges Hinterland: Die strukturschwache Oberpfalz würde die WAA schon hinnehmen, dachte man in München. Doch was anfangs aussah wie ein Kampf von David gegen Goliath, wendete sich im Laufe der Zeit. Nach Jahren mit Protesten, Einwendungen und Klagen war die WAA am Ende zu teuer und politisch nicht durchsetzbar. 

Im Jahr 1979 einigten sich Bund und Länder im so genannten Entsorgungsbeschluss auf den Bau einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage. Dort sollte aus den verbrauchten Brennstäben der Atomkraftwerke Uran und Plutonium gewonnen werden. Im Landkreis Schwandorf kursierten zu dieser Zeit bereits Gerüchte um eine „Atomfabrik“. Konkret wurde die Gefahr aber erst zwei Jahre später: Nachdem Standort-Alternativen gescheitert waren, erklärte Bayerns Umweltminister Dick 1981, eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) bei Schwandorf liege „im Bereich des Möglichen“. Als Reaktion darauf gründete sich im Oktober 1981 in Schwandorf die „Bürgerinitiative Schwandorf gegen die WAA“ mit dem Ziel, die Anlage zu verhindern. Mit dabei waren viele Aktive des BUND Naturschutz (BN) wie Dr. Hartmut Augustin, damals Vorsitzender der BN-Kreisgruppe Schwandorf, Klaus Pöhler, der später sein Nachfolger wurde, Wolfgang Nowak, Hermann Birnthaler, Arnold Kimmerl, Bruno Rettelbach, Herbert Kühnel und viele andere.

Im Februar 1982 organisierte die Bürgerinitiative (BI) in Schwandorf die erste Großkundgebung gegen die WAA. Hauptredner waren Hubert Weiger, damals Beauftragter des BUND Naturschutz für Nordbayern, und Prof. Dr. Robert Jungk, Zukunftsforscher und über die Gruppe Ökologie eng mit dem BN und seinem Bundesverband, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), verbunden. Im Laufe der Jahre folgten viele weitere Veranstaltungen, Demonstrationen, Vorträge und Aktionen. Durch seine intensive Öffentlichkeitsarbeit konnte der BN viele Menschen überzeugen und neue Mitstreiter gewinnen. Es wurden Rundschreiben versendet, Flugblätter gedruckt, Vorträge oder Mahnwachen organisiert. Gleichzeitig bereiteten BN und BI mit dem Würzburger Rechtsanwalt Baumann Einsprüche und Klagen vor. 

Widerstand am Bauzaun

Der BN-Vorsitzende Hubert Weinzierl, der BN-Energiereferent und Atomphysiker Dr. Ludwig Trautmann-Popp und Hubert Weiger warnten unermüdlich vor der Atomtechnologie und waren häufige Gäste in Wackersdorf. „Wir haben Angst, dass dieses kostenexplosivste Projekt der Industriegeschichte Steuergelder und Investitionsmittel blockiert und dass die Stromkosten steigen, ohne dass Energie eingespart und ohne dass die Entsorgung des Kernkraftabenteuers gelöst wird“, fasste Hubert Weinzierl bei einer Kundgebung in Schwandorf zusammen. Zum Symbol und Treffpunkt des friedlichen WAA-Widerstands wurde in dieser Zeit das Franziskus-Marterl bei Altenschwand. Aktive aus BN und BI hatten den Bildstock 1984 auf einem vom BN gekauften Grundstück gebaut. Die sonntäglichen Andachten am Marterl und der anschließende Gang zum Bauzaun wurden für viele BN-Aktive in den folgenden Jahren zum Ritual. 

Etwa zur gleichen Zeit warb der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß für den Standort Wackersdorf: Die WAA sei „so gefährlich wie eine Fahrradspeichenfabrik“, meinte er, und versprach den Menschen im Landkreis mehr als 3.000 Arbeitsplätze. Verlockend für eine Region, die damals mit rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit kämpfte. Den in der Betreibergesellschaft DWK (Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen) zusammengeschlossenen Energieversorgern versprach er eine reibungslose Realisierung und lobte die „industriegewohnte Bevölkerung“ im Landkreis. Die DWK ihrerseits richtete gleich nach der Standortvorauswahl 1981 einen „Info-Shop“ in Schwandorf ein. Sie warb mit Hochglanzbroschüren für den Bau und verteilte großzügige Spenden. Vereine und die örtliche CSU freuten sich über Zuwendungen und die Gemeinde über Gewerbesteuer-Vorauszahlungen. Dass all dies den massiven Widerstand nicht verhindern konnte, ahnten die Verantwortlichen damals noch nicht. 

Lex Schuierer

Auch Hans Schuierer, SPD-Landrat und BN-Mitglied, freute sich anfangs über die Arbeitsplätze für seinen Landkreis. Nachdem er sich die Pläne angesehen und mit Experten gesprochen hatte, änderte er allerdings seine Meinung: „Als man mir sagte, die Anlage brauche den 200 Meter hohen Kamin, damit die radioaktiven Schadstoffe großflächig verteilt werden, war mir klar, dass ich nicht dafür sein kann“, erinnert er sich. Schuierer wurde zum engagierten WAA-Gegner und ließ sich auch durch Drohungen, Überwachung und ein Disziplinarverfahren nicht einschüchtern. Aus Sorge um das Grundwasser lehnte er 1984 die öffentliche Auslegung des Bebauungsplans ab. Die Staatsregierung schuf daraufhin ein Gesetz, das als „Lex Schuierer“ in die Geschichte einging und ihr erlaubte, den Landrat bei der von ihm nicht erteilten Baugenehmigung zu umgehen, indem dafür die Regierung der Oberpfalz für zuständig erklärt wurde. „Ich glaube, dass damals nicht nur die Gesundheit unserer Menschen und der Natur schlechthin gefährdet waren, sondern es waren auch die Demokratie und unser Rechtstaat gefährdet“, fasst er die Situation von damals zusammen. 

Zu Beginn des Jahres 1985 hatten sich Betreiber und Regierung endgültig auf den Standort Wackersdorf festgelegt. Unter massivem Polizeischutz begann man im folgenden Winter 200 Hektar Wald zu roden, planierte die Fläche und ließ sie durch einen meterhohen Zaun schützen. Gleichzeitig intensivierte sich der Widerstand. Menschen, die noch nie auf die Straße gegangen waren, demonstrierten Woche für Woche gegen die WAA. BI und BN organisierten den friedlichen Widerstand und vernetzten sich über die Bundesgrenzen hinaus. „Wir haben jede Woche am Bauzaun protestiert und dort auch Feste wie Fasching, Ostern, Silvester oder Weihnachten gefeiert“, erinnert sich der heutige BN-Kreisgruppen-Vorsitzende Klaus Pöhler. Im Dezember 1985 feierte Hubert Weinzierl am Bauzaun seinen 50. Geburtstag und servierte die – dank des Polizeiaufgebots – „bestbewachte Geburtstagstorte der bundesdeutschen Geschichte“.

Massendemos und Eskalation

Als der Verwaltungsgerichtshof kurz darauf die Genehmigung zur Rodung erteilte, errichteten Atomkraftgegner dort ein Hüttendorf, in dem etwa 1.000 Menschen übernachteten. Anwohner, BN-Aktive und Bürger solidarisierten sich mit den Bewohnern, sorgten für Verpflegung, Duschgelegenheiten oder übernahmen Fahrdienste. Das Hüttendorf wurde jedoch schon zwei Tage später geräumt, wobei rund 900 AKW-Gegner festgenommen wurden. An Ostern 1986 demonstrierten schließlich 100.000 Menschen zum größten Teil friedlich gegen die WAA. Die Polizei setzte Schlagstöcke, Wasserwerfer und das nach der Genfer-Konvention geächtete CS-Gas ein. Ein 38-jähriger Demonstrant erlitt daraufhin einen Asthma-Anfall und verstarb kurz darauf im Rettungswagen.

Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 erreichte der Widerstand einen weiteren Höhepunkt. Zehntausende demonstrierten an den darauf folgenden Pfingsttagen gegen die Anlage. Während der BUND Naturschutz und die Bürgerinitiative konsequent zur Gewaltfreiheit aufriefen, kam es doch immer wieder zu Ausschreitungen. Hier entlud sich die Wut über das massive Vorgehen der Polizei und die kompromisslose Haltung der Staatsmacht. Demonstranten warfen Steine, sägten Löcher in den Bauzaun und zündeten zwei Einsatzfahrzeuge an. Wieder setzte die Polizei Schlagstöcke, Wasserwerfer und CS-Gas ein. Bei den Auseinandersetzungen wurden rund 600 Menschen, darunter auch friedlich demonstrierende, zum Teil schwer verletzt. 

Der Druck wird zu groß – das Ende

Zwei Monate später setzten Herbert Grönemeyer, Rio Reiser, BAP, Die Toten Hosen und viele andere Musiker beim Anti-WAAhnsinns-Festival in Burglengenfeld ein Zeichen gegen die WAA. Im September 1986 folgte das dreitägige BUND-Wackersdorfforum, bei dem neben Diskussionen und Vorträgen von renommierten Wissenschaftlern ein umfangreiches Programm mit Künstlern und Kulturschaffenden für Unterhaltung sorgte.

Gleichzeitig ging auch der juristische Kampf gegen das Bauprojekt weiter und erzielte erste Erfolge: So hob der bayerische Verwaltungsgerichtshof im April 1987 die erste Teilerrichtungsgenehmigung auf, im Januar 1988 erklärte er den ganzen Bebauungsplan für nichtig, unter anderem, weil das Hauptprozessgebäude wesentlich größer war als ursprünglich vorgesehen. Dennoch wurde auf Basis von Einzelbaugenehmigungen weitergebaut. Im Sommer 1988 startete in Neunburg vorm Wald der zweite amtliche Erörterungstermin, der im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens vorgeschrieben war. Waren beim ersten Erörterungstermin 1984 rund 50.000 Einwendungen von Bürgern eingegangen, kamen jetzt 881.000 zusammen. Allein die Einwendungen des BUND Naturschutz füllten 18 Aktenordner.

Dennoch wurde der Erörterungstermin nach wenigen Tagen abgebrochen – ohne überhaupt alle Teilnehmer angehört zu haben. Und auch dieses Mal wurde weitergebaut. Ein Jahr später wendete sich allerdings das Blatt: Aufgrund der andauernden Proteste und juristischen Unsicherheiten bewerteten die Energiekonzerne das Projekt nun als zu langwierig und zu teuer. Sie hatten deshalb bereits Verhandlungen über eine Wiederaufarbeitung in La Hague aufgenommen. Am 31. Mai wurde der Baustopp offiziell verkündet. Atomkraftgegner feierten in Wackersdorf und an vielen anderen Orten, auch wenn sie schon damals ahnten, bis zum endgültigen Atomausstieg würde es noch eine ganze Weile dauern.


WAA: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Gefahr

Ab Mitte der 80er-Jahre verteidigte der Staat das WAA-Projekt mit aller Macht. Immer wieder kam es am Bauzaun zu bürgerkriegsähnlichen Szenen. Gleichzeitig wurden Gesetze umgeschrieben oder neu interpretiert. Hausdurchsuchungen, Überwachung und Verhaftungen wurden für WAA-Gegner zur Routine. Demokratie und Rechtsstaat waren in Gefahr. 

Als Niedersachsens Ministerpräsident Albrecht 1979 erklärte, eine Wiederaufarbeitungsanlage in Dragahn im Landkreis Lüchow-Dannenberg sei „technisch machbar“, aber „politisch nicht durchsetzbar“, war Bayerns Stunde gekommen. Schon bald warb Franz-Josef-Strauß für den Standort Wackersdorf. Der „politisch stabile“ Landstrich mit seiner „industriegewohnten Bevölkerung“ verspreche eine „rasche und ungestörte Realisierung des Projekts“, meinte er. Und während Albrecht noch argumentierte „Ich will keinen Bürgerkrieg im Land“, bahnte sich in der Oberpfalz genau das an. Der unbedingte Wille von Staatsregierung und Betreibergesellschaft, die WAA gegen alle Widerstände durchzusetzen, brachte im Freistaat Demokratie und Rechtstaatlichkeit ins Wanken. Immer wieder warben BUND Naturschutz und die Bürgerinitiative für den friedlichen Widerstand, protestierten gegen brutale Polizeieinsätze und den Abbau demokratischer Rechte. 1985 fasste der BN-Vorsitzende Hubert Weinzierl die Sorgen der WAA-Gegner zusammen: „Wir haben Angst auch vor mehr Polizeigewalt und davor, dass unsere Heimat morgen einem Heerlager gleicht“. 

Ab Mitte der 80er-Jahre lehnte die Mehrheit der Bürger den Bau der Anlage in ihrer Region ab. Und auch bundesweit waren die Atomkraft-Befürworter längst in der Minderheit. So konnten BUND Naturschutz und Bürgerinitiative immer mehr Menschen für ihre Veranstaltungen und Aktionen gewinnen. Doch während bis zu 100.000 Menschen zum großen Teil friedlich protestierten, rüstete der Staat gegen seine Widersacher auf: Allein für das Jahr 1986 erhöhten sich im bayerischen Staatshaushalt die Ausgaben für überörtliche Polizeieinsätze von geplanten 2,5 auf 50,7 Millionen Mark. Das Amtsgericht Schwandorf wurde „terroristensicher“ ausgebaut, gleichzeitig stellte man Hunderte von Polizisten, Richtern, Staatsanwälten und Gefängniswärtern, speziell für den Raum Wackersdorf, neu ein und bestellte Hubschrauber, Spezialfahrzeuge, Reizgas und Gummigeschosse. Viele fragten damals nach der Verhältnismäßigkeit, besonders als Ostern und Pfingsten 1986 CS-Gas und Wasserwerfer auch gegen friedliche Demonstranten eingesetzt wurden. 

Gesetze für die WAA

Während bei den WAA-Gegnern Wut und Verzweiflung wuchsen, schrieb und änderte die Regierung ihre Gesetze nach Belieben. Als sich der Schwandorfer Landrat Schuierer weigerte, die Bescheide zur Genehmigung der WAA zu unterschreiben, reagierte man mit der Schaffung eines neuen Gesetzes. Es regelte das „Selbsteintrittsrecht des Staates“ und schaltete den Landrat kurzerhand aus. Schuierer sprach daraufhin von einer „Ein-Mann-Demokratur Strauß’scher Prägung“ und meinte, der Unterschied zwischen Militärdiktaturen wie Chile oder Südafrika und dem Freistaat werde „immer kleiner“. Damit handelte er sich – wie übrigens andere kritische Beamte auch – ein Disziplinarverfahren ein. Vollends den Glauben an den Rechtstaat verloren viele im April 1987. Damals hob das Münchner Verwaltungsgericht die erste Teilerrichtungsgenehmigung für die WAA auf, ein Dreivierteljahr später wurde auch der Bebauungsplan wegen zahlreicher nachträglicher Änderungen für „rechtswidrig und nichtig” erklärt. Den Bauherren war das allerdings egal, es wurde einfach weitergebaut. Landrat Schuierer resümierte daraufhin, dass „es in Bayern leichter ist, eine Atomanlage zu bauen als eine Garage oder ein Einfamilienhaus."

Die Liste an Rechtsänderungen und Neu-Interpretationen lässt sich mit vielen Beispielen fortführen: Um die Menschen von den Demonstrationen fernzuhalten, änderte man 1988 das Polizeiaufgabengesetz. Damit konnten Demonstranten bis zu 14 Tage inhaftiert werden. Einen von der SPD beantragten Untersuchungsausschuss zum Thema Wackersdorf lehnte die CSU einfach ab, entgegen dem klaren Wortlaut der bayrischen Verfassung. Darüber hinaus wurde den klagenden Bürgern, um kurze Prozesse zu gewährleisten, einfach eine Gerichtsinstanz gestrichen. 

Gerettete Demokratie

Das Vorgehen der Staatsmacht ließ viele Menschen ahnen, wie ihre Zukunft mit der WAA aussehen könnte. Die Anlage hätte dauerhaft gegen Angreifer, Sabotageaktionen und Demonstranten geschützt werden müssen. Die Oberpfalz hätte sich in eine Polizeiregion verwandelt, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und viele andere Rechte wären eingeschränkt worden. Der BUND Naturschutz und viele prominente Wissenschaftler warnten vor den gesellschaftlichen und politischen Folgen des Baus. Einer von ihnen war der Zukunftsforscher und BUND-Mitbegründer Robert Jungk. Schon 1977 hatte er in seinem Bestseller „Der Atomstaat“ einen massiven Abbau demokratischer Grundrechte durch die Atompolitik vorausgesagt. Seine Kernthese: Atomindustrie bedeutet permanenter Notstand unter Berufung auf eine permanente Bedrohung. Dies erlaubt scharfe Gesetze zum angeblichen Schutz der Bürger. Zunächst sah es so aus, als sollte sich dieses Szenario bewahrheiten. Dass die Demokratie letztendlich doch gesiegt hat, ist dem engagierten Widerstand vieler zu verdanken.


Atomare Risiken der WAA

In Wackersdorf sollte die zentrale Wiederaufarbeitungsanlage für Brennstäbe aus deutschen Reaktoren entstehen. Ein Prestigeprojekt, das die Bayerische Staatsregierung gegen alle Widerstände durchsetzen wollte. Warnende Stimmen von Experten wurden ebenso ignoriert wie die von Menschen, die Angst um ihre Gesundheit und ihre Heimat hatten.

Wäre alles nach Plänen der Regierung verlaufen, so hätte die WAA in Wackersdorf in den 90er-Jahren ihren Betrieb aufgenommen. Dann hätte die Anlage aus verbrauchten Brennstäben Uran und Plutonium herausgelöst und wieder verarbeitet. Experten wie der Atomphysiker und Energiereferent des BUND Naturschutz Dr. Ludwig Trautmann-Popp, der Zukunftsforscher Prof. Dr. Robert Jungk, Physiker Prof. Dr. Carl Friedrich von Weizsäcker, Chemiker Prof. Dr. Armin Weiß, Zellbiologe Prof. Dr. Roland Scholz und unzählige andere warnten damals vor den vielfältigen Risiken.

Ihre Sachkenntnis brachte die Vertreter der Betreibergesellschaft so manches Mal in Erklärungsnot, so beispielsweise während des amtlichen Erörterungstermins 1988 in Neunburg vorm Wald. Regierung und Betreibergesellschaft antworteten auf die Bedenken mit nichtssagenden Phrasen und betonten immer wieder, von der Anlage gehe keinerlei Gefahr aus. Studien, Gutachten sowie der Vergleich mit den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield lieferten allerdings ganz andere Einsichten und zahlreiche Argumente gegen den Bau. 

Bereits im Normalbetrieb hätte die Wiederaufarbeitungsanlage radioaktive Substanzen an die Umwelt abgegeben. Laut Planung sollte in Wackersdorf ein 200 Meter hoher Abluftkamin den radioaktiven Feinstaub weitläufig verteilen. Gleichzeitig wäre die WAA auf dem größten Grundwasservorkommen der Oberpfalz errichtet worden und hätte das Wasser belastet. Während ein von der Betreibergesellschaft bezahltes Gutachten die Gefahr verneinte und betonte, der Untergrund des WAA-Geländes sei durch mächtige Tonschichten abgeschirmt, kamen vom BUND Naturschutz befragte Experten zu anderen Ergebnissen. Sie gingen von der Durchlässigkeit der Untergrund-Schichten und einer Gefährdung des Grundwassers aus.

Gefährliche Technologie

Als die WAA geplant wurde, waren die gesundheitlichen Gefahren der Radioaktivität seit Jahrzehnten bekannt: Die beim radioaktiven Zerfall entstehende Strahlung schädigt die Zellen des Körpers. Sie kann, auch niedrig dosiert, das Erbgut von Mensch oder Tier verändern, die Folge sind beispielsweise Krebserkrankungen oder Fehlbildungen bei Neugeborenen. 1984 stellten britische Wissenschaftler fest, dass in der Umgebung der britischen WAA Sellafield (früher Windscale genannt) die Zahl der Leukämieerkrankungen um rund das Zehnfache über dem Landesdurchschnitt lag. 1997 fanden britische Forscher in der Region außerdem hochgiftiges Plutonium in den Zähnen von Kindern und Jugendlichen. Eine 1995 veröffentlichte Studie für die Gegend um La Hague belegte für Kinder, die dort aufwachsen, eine dreifach erhöhte Leukämiegefahr. 

Ein weiteres wichtiges Argument, das alle WAA-Gegner bewegte, war die Gefahr eines Atom-Unfalls. Tatsächlich war die Wiederaufarbeitung von Anfang an von ernsten Zwischenfällen begleitet. 1957 kam es in der sowjetischen WAA Kyshtym nach einer Explosion zu einer massiven Freisetzung von Radioaktivität. Der lange geheim gehaltene Unfall gilt nach Tschernobyl und Fukushima als drittschwerster Atomunfall in der Geschichte. Im selben Jahr ereignete sich im britischen Sellafield ein Reaktorbrand. Experten vermuteten, dass rund eine halbe Tonne Plutonium und andere giftige Stoffe in die irische See gelangten. Auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten rissen die Schlagzeilen über Pannen in Sellafield, La Hague und anderen Anlagen nicht ab. Der BUND Naturschutz und viele Atomkraftgegner weltweit betonten daher stets die Unbeherrschbarkeit der Technologie. Gleichzeitig wäre Wackersdorf auch durch terroristische Angriffe, Sabotageaktionen oder Erdbeben verwundbar gewesen.

Eine weitere wichtige Sorge aller WAA-Gegner war die Gefährdung des Friedens. Immer wieder wies der BUND Naturschutz darauf hin, dass die Anlage atomwaffentaugliches Plutonium hergestellt und Deutschland den Weg zur Atommacht geebnet hätte. Vor diesem Hintergrund appellierte Hubert Weinzierl 1988 an Kanzler Helmut Kohl, nun endlich per WAA-Verzicht zu bekennen, „dass Sie niemals Atomwaffen herstellen wollen."


Naturraum: Paradies in Blau und Grün

Wie ein blau-grüner Flickenteppich sieht die Gegend um Wackersdorf von oben aus. Unzählige Seen und Teiche betten sich in das Grün der Wälder und Wiesen. Heute suchen Menschen aus nah und fern Erholung im Oberpfälzer Seenland. Im Schatten einer Wiederaufarbeitungsanlage wäre dies undenkbar.

Im Taxöldener Forst erinnert heute nur noch wenig an die Auseinandersetzungen um die WAA. Auf der gerodeten Fläche ist ein Industriepark entstanden. Hier bieten mittelständische und große Unternehmen Arbeitsplätze für rund 3.000 Menschen aus der Region. Das einst als Brennelemente-Eingangslager errichtete Gebäude mit seinen meterdicken Mauern dient BMW als Lagerhalle, eine andere Firma nutzt das ehemalige WAA-Werkstattgebäude. Doch wie sähe die Region heute mit der Wiederaufarbeitungsanlage aus? Die Mitstreiter von einst sind sich einig: Die Gegend wäre Sperrgebiet und Baden, Angeln oder Tourismus wären in der idyllischen Wald- und Seenlandschaft undenkbar.

Die Atomanlage hätte das größte Grundwasser-Reservoir der Oberpfalz verseucht und die Gesundheit der Menschen gefährdet. Radioaktives Jod und Strontium wären in die Nahrungskette gelangt. Erhöhte Krebsraten in der Bevölkerung wie sie auch in den Regionen um La Hague und Sellafield, wo Wiederaufbereitungsanlagen stehen, festgestellt wurden, wären die Folge gewesen. Bereits während der Bauphase verließen unzählige Menschen die Region, im Schatten der WAA wären Wackersdorf und das Umland vermutlich verödet. Der Zuzug von Menschen, florierender Tourismus, neue Betriebe und eine hohe Lebensqualität: All das, was heute als „Wunder von Wackersdorf“ gilt, wäre undenkbar. Tatsächlich hat sich die Region um Wackersdorf schon mehrmals neu erfunden. Besucher aus der Vergangenheit würden sich heute verwundert die Augen reiben. 

Von der Industrieregion zum Naturparadies

Über Jahrhunderte war die Region um Wackersdorf vom Abbau der Bodenschätze geprägt. Hier, in der Bodenwöhrer Senke, die sich auf 55 Kilometern Länge von Cham bis Schwarzenfeld erstreckt, fand man Erz und schließlich auch Braunkohle. Ab 1906 fräste der industrielle Tagebau riesige Krater in die Landschaft. Über Jahrzehnte färbte der Kohlestaub Böden und Fassaden schwarz. Auch das alte Bauerndorf selbst fiel dem Fortschritt zum Opfer. Alt-Wackersdorf verschwand in einer Grube und wurde 1953 einige Kilometer entfernt neu aufgebaut. Nach dem Aus für die Braunkohle im Jahr 1982 entstand das heutige Landschaftsbild, das Oberpfälzer Seenland. In der Region am Schnittpunkt der beiden Naturparke Oberpfälzer Wald und Oberer Bayerischer Wald konnte sich die Natur einiges von dem zurückerobern, was ihr einst genommen wurde. Die mit Grundwasser gefluteten Tagebaugruben, die umgebenden Wälder und Wiesen sind heute Naturparadies und Naherholungsgebiet zugleich. Die großen Wasserflächen, Steinberger See, Murner See und Brückelsee werden touristisch genutzt. Hier trifft man sich zum Baden, Segeln, Surfen oder Wandern. Dazwischen finden sich kleine Seen und Teiche, wo sich die Natur ungestört entfalten kann. Im Laufe der Jahre haben sich in dem früheren Industriegebiet zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, die auf Stillgewässer und Verlandungszonen angewiesen sind, angesiedelt. 

Natur und Tourismus

Heute sind die Naturschätze das Kapital einer florierenden Region. Jahr für Jahr freut sich das Oberpfälzer Seenland über steigende Übernachtungszahlen. Viele Menschen, die hierher kommen, genießen die Ruhe in der Natur, Badespaß oder ausgedehnte Wanderungen. Lehrpfade vermitteln ihnen Wissen über Landschaft, Geologie, Pflanzen, Fische und vieles andere. Vielerorts gelingt es, Besucherströme sinnvoll zu lenken und einen sanften Tourismus zu fördern. Immer wieder braucht die Natur aber auch besonderen Schutz: So setzte sich die Kreisgruppe Schwandorf seit 2012 dafür ein, das Areal um den Ausee und den Lindensee unter Naturschutz zu stellen. Beide Seen haben sich zu Kleinoden mit einer bemerkenswerten Flora und Fauna entwickelt. An den Uferböschungen und in den angrenzenden Wiesen wurden zahlreiche seltene und einige vom Aussterben bedrohte Arten nachgewiesen. Hier haben beispielsweise Flussregenpfeifer, Schellente, Blauflügelige Ödlandschrecke, Moosjungfer, Rohrweihe, Ziegenmelker und Strand-Ampfer ein Refugium gefunden. Ziel der Kreisgruppe war es, hier eine Bebauung, wildes Campen sowie Befahren mit Autos oder Quads zu verhindern. So könnte die vor der Wiederaufarbeitung gerettete Region ihre Schätze dauerhaft erhalten.


Portraits und Interview: Widerstandskämpfer gegen die WAA