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Wiedergutmachung an einem fast zerstörten Wildfluss

Im Interview: Der Augsburger Arzt Dr. Eberhard Pfeuffer war Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins Schwaben und gilt als einer der besten Kenner des Lechs. Er ist der Autor zweier hervorragender Bücher über den Lech: „Der Lech“ und „Der ungebändigte Lech“ (beide erschienen im Wißner-Verlag).

Herr Dr. Pfeuffer, Sie haben zwei wunderschöne, sehr liebevolle Bildbände über den Lech gemacht – und dabei zwangsläufig auch die weitgehende Zerstörung des mittleren und unteren Laufes dieses einstmals wilden Alpenflusses dokumentiert. Viele Naturschützer haben den Lech unterhalb von Füssen längst als „Flussleiche“ abgeschrieben. Was fasziniert Sie eigentlich noch an diesem Fluss?

Vom alten Wildfluss Lech ist nördlich von Füssen leider nichts geblieben. Geblieben ist aber die abwechslungsreiche Landschaft des Lechtales, von der Moränenregion unmittelbar nördlich von Füssen über die weite Ebene des Lechfeldes zwischen Landsberg und Augsburg bis zu den Auwäldern im Mündungsbereich.

In der Litzauer Schleife südlich von Schongau lässt sich noch die einstige Lechlandschaft erahnen, und Gleiches gilt für das Naturschutzgebiet „Stadtwald Augsburg“ mit seinen sehr wertvollen, überaus artenreichen Auenresten. Noch immer lässt sich an typischen und sonst sehr seltenen „Lecharten“ die für ganz Mitteleuropa bedeutende „Biotopbrücke Lechtal“ zwischen den Naturräumen Alpen und Alb erkennen.

Die Litzauer Schleife konnte in den 50er-Jahren nach erbitterten Kämpfen davor bewahrt werden, in der Staustufe Nr. 5 unterzugehen. Sie ist heute ein „Naturschutzmuseum“ innerhalb eines Flusses, der alle 3,5 Kilometer von einer Staustufe unterbrochen wird. Inzwischen zeigt sich aber, dass auch die Litzauer Schleife ihren Wildflusscharakter verliert, weil ihr das Geschiebe und die großen Hochwässer fehlen und sie zusätzlich durch den Schwellbetrieb strapaziert wird. Gibt es trotzdem Hoffnung für die Litzauer Schleife, oder ist sie letzten Endes nur noch ein trauriges Mahnmal?

In der Tat sind auch in der Litzauer Schleife wesentliche wildflusstypische Arten verschwunden. Es ist eine besondere – und inzwischen auch angenommene –  Herausforderung für den Naturschutz, diesen Flussabschnitt wieder zu beleben, das heißt, ihm wieder eine gewisse Dynamik zuzugestehen, von periodischen Hochwasserüberflutungen bis zu einem zielorientierten Geschiebemanagement. Hier könnte, eine Zusammenarbeit mit dem Kraftwerksbetreiber vorausgesetzt, ein Pilotprojekt für stark beeinträchtigte Wildflussauen entstehen.

Im Gegensatz zur Litzauer Schleife wurden viele andere schützenswerte Flussabschnitte am Lech brachial verbaut, darunter selbst bestehende Naturschutzgebiete wie die berühmte Illasbergschlucht bei Roßhaupten, die unter dem Forggensee verschwunden ist. Wie kam es dazu, und wie ist das aus heutiger Sicht zu bewerten?

Die Verbauung der ursprünglich besonders eindrucksvollen Lechstrecke zwischen Füssen und Schongau erfolgte vorwiegend in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts, trotz vehementen Widerstandes von Naturschutzseite. Ausschlaggebend war damals die Maximierung der Energiegewinnung, ohne jegliche Rücksicht auf Natur und Landschaftsbild.

Dabei ging die BAWAG, eine eigens zum Lechausbau gegründete AG, rigoros vor. Sie bezog die Illasschlucht, die als schönste Schlucht im gesamten Alpenvorland galt, entgegen allen Absprachen mit dem Naturschutz und entgegen einem Beschluss des bayerischen Ministerrates in den Ausbau mit ein. Gerade dieses Vorgehen erbitterte die Naturschützer in besonderer Weise.

Aus heutiger Sicht ist es nachvollziehbar, dass in der Nachkriegszeit eine Energiegewinnung durch Wasserkraft als wirtschaftlich notwendig erschien – was von Naturschutzseite nie bestritten wurde. Nach wie vor nicht nachvollziehbar ist aber der rücksichtslose Totalverbau, der aus einem der artenreichsten und landschaftlich schönsten Wildflüsse mehr oder weniger ein einziges Elektrizitätswerk machte.

Einer der Protagonisten des Kampfes gegen die Zerstörung des Lechs und der Litzauer Schleife war Prof. Dr. Otto Kraus. Der Mineraloge, der auch als „erster amtlicher Naturschützer Bayerns“ bezeichnet wird, mobilisierte damals 32 Verbände und Hochschulinstitute zur Verteidigung dieser einmaligen Landschaft. Sie setzen sich dafür ein, ihm ein Denkmal zu widmen …

Prof. Dr. Otto Kraus hat nicht nur die Litzauer Schleife, voralpine Moore, Streuwiesen und andere Landschaftsteile gerettet. Er hat gerade auch das Bewusstsein um den Wert einer intakten Natur in einer Zeit gefördert, in der wirtschaftlicher Aufschwung oberste Priorität besaß.

Otto Kraus hat sich zweifelsohne in diesem Kampf gegen übermächtige Gegner emotional aufgerieben. Er hat aber auch gerade durch diesen so persönlichen Einsatz eine ungewöhnlich breite Unterstützung – von Hochschuleinrichtungen über Naturschutzverbände bis weit in die Bevölkerung hinein – erhalten, so dass der Kampf um den Lechabschnitt Füssen-Schongau als eine der bedeutendsten Umweltprotestbewegungen der Nachkriegszeit in die Geschichte eingegangen ist.

Um die Bedeutung von Otto Kraus als Naturschützer adäquat einzuschätzen, müsste man vielleicht die Frage stellen, was ohne sein Engagement noch alles verloren gegangen wäre – eine Fragestellung, die generell bis heute für Naturschutzbemühungen bestimmend ist. Dank regionaler politischer Unterstützung zeichnet sich ab, dass Otto Kraus in der Nähe der Litzauer Schleife am Lech in absehbarer Zeit ein Denkmal erhalten wird.

Neben der Staustufe Nr. 5 in der Litzauer Schleife wurden zwei weitere der insgesamt 26 geplanten Kraftwerke am Lech nicht gebaut, nämlich die bei Augsburg. Wie kam es dazu, und was ist der heutige Stand?

Die Staustufen 25 und 26 im Naturschutzgebiet „Stadtwald Augsburg“ waren und sind nicht mit dem in diesem Bereich befindlichen Trinkwasserreservoir kompatibel. Zudem lehnte ein großer Teil der Bevölkerung seit jeher diese Projekte ab. Derzeit beabsichtigt der E.ON-Konzern, mitten im Naturschutzgebiet„Stadtwald Augsburg“ ein neues Kraftwerk an einer vorhandenen Sohlschwelle zu bauen. Dagegen hat sich nicht nur lokal, sondern bayernweit ein breiter Widerstand gebildet, da dieses Kraftwerk mit der dringend notwendigen Renaturierung des Flussabschnittes unvereinbar ist. Naturschützer sehen in diesem Projekt zudem einen Präzedenzfall, der der Errichtung weiterer Kraftwerke in letzten Fließstrecken selbst in Naturschutzgebieten Tür und Tor öffnen würde.

Muss nicht auch der Naturschutz Opfer bringen, wenn die Energiewende gelingen soll?

Die „Lechallianz“ hat einem neuen Kraftwerk am Augsburger „Hochablass“ – ein lokaler Sonderfall! – unter gewissen Voraussetzungen erst vor kurzem zugestimmt. Im Übrigen haben Bayerns Flüsse, allen voran der Lech, bezüglich Energiegewinnung ihre Schuldigkeit längst getan.

Bei den noch für einen Kraftwerksausbau zur Verfügung stehenden Fließstrecken handelt es sich um allerletzte naturnahe Flussabschnitte, die Rückzugsgebiete für bedrohte Pflanzen- und Tierarten darstellen. Ihre Verbauung käme einem absoluten Ausverkauf unserer heimischen Natur gleich.

Müssen wir uns mit dem gegenwärtigen Zustand des Lechs abfinden oder gibt es Möglichkeiten einer Optimierung?

Der derzeitige Zustand des bayerischen Lechs ist aus naturschutzfachlicher Sicht inakzeptabel. Er ist zudem mit den Vorgaben der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie von 2007 nicht vereinbar.

Gegenwärtig läuft das Projekt „Licca liber“ an. Für dieses Projekt, das den Flussabschnitt von der Staustufe 23 südlich von Augsburg bis zur Mündung in die Donau umfasst, besteht sowohl aus flussbaulicher als auch aus ökologischer Sicht dringender Handlungsbedarf.

Die Lechallianz sieht es als ihre vordringlichste Aufgabe an, ökologische Aspekte in die Planung der Flussbaumaßnahmen verbindlich einzubringen. Dazu zählt, neben der Durchgängigkeit des Flusses und einem Kiesmanagement, auch eine Wiederanbindung von Auenregionen an den Fluss.

Welchen Nutzen hätte das?

Ein ökologisch ausgerichtetes „Licca liber“-Projekt würde das Landschaftsbild wesentlich bereichern. Es würde einer Vielzahl seltener Pflanzen und Tiere Überlebensmöglichkeiten verschaffen, und nicht zuletzt würde es für die ansässige Bevölkerung einen wertvollen Erholungs- und Erlebnisraum vor der Haustüre bieten.

Welche Tipps haben Sie für Menschen, die sich für den Wildfluss Lech interessieren?

Es gibt vom Tiroler Lech bis zur Mündung in die Donau eine ganze Reihe von Wander- und Radwegen. Der Tiroler Lech bietet als letzte Wildflusslandschaft der Nordalpen ein einzigartiges Naturerlebnis. Aber auch auf bayerischer Seite lassen sich – abgesehen von den erwähnten Landschaftsbildern – immer noch bemerkenswerte Auengebiete mit ihrer Pflanzen- und Tierwelt entdecken. Wer den Lech auf diese Weise erlebt hat, da bin ich mir sicher, wird sich auch für ein ökologisch ausgerichtetes Gesamtkonzept „Lebensraum Lechtal“ einsetzen.

Das Interview führte Winfried Berner.


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