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Tiere und Pflanzen

Streuobstwiesen - Kostbarkeiten unserer Kulturlandschaft

Traditionell bewirtschaftete Obstwiesen mit großkronigen Bäumen prägten über Jahrhunderte v.a. in Franken das Bild der Kulturlandschaft.

23.04.2002

Sie liefern nicht nur schmackhaftes Obst für vielfältige Verwendungszwecke, sondern besitzen auch eine große Bedeutung für den Arten-, Grundwasser-, Klima- und Landschaftsschutz, aber auch für den Tourismus.

Trotzdem sind Streuobstwiesen nach wie vor in ihrem Bestand bedroht. Initiativen zur Obst- und Apfelsaftvermarktung können mithelfen, dass sich die Pflege und Nutzung von Streuobstbeständen auch wirtschaftlich wieder lohnt. Wichtige Partner sind hierbei Gemeinden, Keltereien, Landschaftspflegeverbände, staatliche Behörden und Landwirte. Echte Zukunftschancen haben die Obstwiesen aber nur, wenn Streuobstprodukte (z.B. Apfelsaft) von den Verbraucherinnen und Verbraucher gezielt nachgefragt werden.


Paradiese aus Menschenhand

Streuobstbestände wurden vom Menschen geschaffen. Durch die Kombination von "Baum" und "Wiese", eine Bewirtschaftung ohne Intensivdünger und Spritzmitteleinsatz und eine hohe Strukturvielfalt (z.B. Blüten, Baumhöhlen, Wiesenkräuter) entstanden quasi nebenbei optimale Lebensbedingungen für viele seltene Tier- und Pflanzenarten, wie Steinkauz, Wendehals, Wiedehopf, Siebenschläfer, Abendsegler oder Pflaumenglucke.

Ein einziger Apfelbaum bietet Lebensraum für 1.000 wirbellose Tierarten. 40 verschiedene Vogelarten wurden in Streuobstwiesen gezählt. Die bunt blühenden Wiesen beherbergen 5.000 - 6.000 verschiedene Tierarten.

Streuobstwiesen sind angesichts der Nutzungsintensivierung in der Landwirtschaft oft letzte Refugien für bedrohte Arten, gleichzeitig aber auch unersetzliche Trittsteine und zentrale Elemente für die Biotopvernetzung.


Wertvolles Kulturerbe

Schon vor Jahrhunderten wurden Streuobstbestände angelegt, um die Bevölkerung mit Obst, Saft, Most, Marmelade, Dörrobst und Honig (Bienenweide) zu versorgen. Viele Äcker und Wiesen waren mit großkronigen Obstbäumen bepflanzt, Obstbaumalleen säumten die Landstraßen, breite Obstbaumgürtel umgaben die Ortschaften.

Streuobstbestände sind damit Zeugnisse einer jahrhundertealten naturschonenden Landbewirtschaftung und damit Teil unseres Kulturerbes. Dazu gehören aber auch die über 1.000 Apfel-, Birnen-, Zwetschgen- und Kirschensorten, die für verschiedenste Standortbedingungen und Verwendungszwecke (z.B. Tafelobst, Mostobst) gezüchtet wurden.

Klangvolle Namen zeugen noch heute von der Wertschätzung vieler Generationen: Ob "Kaiser Wilhelm", "Paradiesapfel", "Champagnerrenette" oder "Pastorenbirne" - die genetische Vielfalt solcher Sorten hat nur im Streuobstbau eine Zukunftschance.


Genuss für alle Sinne

Streuobstwiesen bieten aufgrund ihrer großen Sortenvielfalt nicht nur unvergleichliche Gaumenfreuden - ob als Tafelobst, Apfelwein oder Birnenmost, als Zwetschgenschnaps, Dörrobst oder Kirschlikör.

Sie bereichern auch das Bild unserer Kulturlandschaft und tragen v.a. zur Blüte- und Erntezeit zur Attraktivität vieler Naherholungsgebiete und bekannter Fremdenverkehrszentren (z.B. Fränkische Schweiz) bei.


Umweltschutz als Zugabe

Streuobstwiesen werden i.d. Regel ohne Intensivdünger- und Spritzmitteleinsatz bewirtschaftet -einen effektiven Grundwasserschutz gibt es dabei quasi als kostenlose Zugabe. Das Wurzelsystem der Bäume, Gräser und Wiesenkräuter verhindert v.a. in Hanglagen Erosionsschäden; als Windschutz und Frischluftproduzenten dienen Streuobstbestände aber auch dem Klimaschutz.

Drechsler, Musikinstrumentenbauer und Möbeltischler haben die optisch attraktiven und dauerhaften Obsthölzer als begehrte Alternative zum Tropenholz wiederentdeckt. Auf umweltbelastende Ferntransporte kann so verzichtet und gleichzeitig ein wirksamer Beitrag zum Schutz der unersetzlichen Tropenwälder geleistet werden.


Spekulanten, Bürokraten und Plantagenbesitzer

Trotz der vielen Vorteile sind Streuobstbestände auch nach Abschluss der Flurbereinigungs- und Rodungswelle der 60er und 70er Jahre in ihrem Bestand bedroht:
* Im Nahbereich der Ortschaften fallen sie der Ausweisung neuer Bau- und Gewerbegebiete zum Opfer.
* Das Streuobst genügt tlw. nicht den einseitig auf äußere "Schönheit" und Mindestgrößen ausgerichteten EU-Handelsklassenvorschriften und darf dann nicht über den Handel verkauft werden. So müssen z.B. Äpfel im Durchmesser größer als 55 mm sein und dürfen nicht mehr als 1 cm2 Schorfflecken aufweisen.
* Die Konkurrenz der intensiv bewirtschafteten Obstplantagen, die optische Makellosigkeit der dort mit hohem Dünger- und Spritzmitteleinsatz erzeugten "Plastikäpfel mit Neutralaroma" und die technischen Möglichkeiten zur Lagerhaltung im Intensivobstbau lassen dem Streuobst im Handel kaum eine Chance.


Das leise Sterben

Die übermächtige Konkurrenz des Plantagenobstes, aber auch die Billigimporte von Obst und Konzentraten für die Apfelsaftherstellung führen zu Dumpingpreisen für Streuobst (3-6 EURO/Doppelzentner).

Solche Almosen bieten auf Dauer keinen wirksamen Anreiz, die Pflege (z.B. Baumschnitt) und Nutzung der großkronigen Obstbäume weiterzuführen. Über Jahre vernachlässigte Bestände brechen aber vorzeitig zusammen. Wo kein Nutzungsinteresse mehr vorhanden ist, haben auch Baugesellschaften beim Grundstückserwerb für flächenfressende Gewerbeprojekte leichtes Spiel.


Erfolge und Verbündete

Bereits 1984 hat der Bund Naturschutz durch eine Landtagseingabe erreicht, dass es staatliche Förderprogramme für die Besitzer von Streuobstbeständen gibt und auch für die Neuanpflanzung ein Zuschuss gezahlt wird.

Kreis- und Ortsgruppen des Bundes Naturschutz organisieren die Pflege überalterter Bestände, vermitteln Obstbaumpatenschaften und ermöglichen über "Streuobstbörsen" (z.B. Bamberg und Würzburg) die Direktvermarktung.

Viele Gemeinden stellen Flächen für die Neuanlage von Streuobstwiesen zur Verfügung oder legen sogar einen Streuobstlehrpfad an (z.B. Gemeinde Hausen/Rhön).


Neue Wege

Förderprogramme und Einzelaktionen reichen nicht aus, die Vermarktungsprobleme beim Streuobst zu lösen. Die Erhaltung der Streuobstwiesen wird deshalb langfristig nur gelingen, wenn sich Pflege und Nutzung auch wirtschaftlich wieder lohnen.
"Streuobstallianz Schwarzenberger Land"
Ein landesweites Modellprojekt ist die vom Bund Naturschutz im Schwarzenberger Land (Lkr. Neustadt/Aisch) initiierte "Streuobstallianz". Hier arbeiten Naturschutzverbände, lokale Aktionsgruppen, Gemeinden, der Landschaftspflegeverband, die 5b.-Stelle, der Bezirk und auch die Direktion für Ländliche Entwicklung erfolgreich zusammen, um Aktionen und Konzepte zu entwickeln und aufeinander abzustimmen (s. Prospekt).
"Aufpreismodell"
Der Bund Naturschutz hat bereits 1989 zusammen mit einem mittelständischen Fruchtsafthersteller ein "Aufpreismodell" initiiert, das den Landwirten einen angemessenen Erlös für ihr Obst sicherstellen soll. Landwirte verpflichten sich, nur ungespritztes Obst aus Streuobstbeständen anzuliefern. Sie bekommen zusätzlich zum regulären Marktpreis einen Zuschlag für die Streuobstpflege, der vom Apfelsaftkäufer aufgebracht wird. Damit honorieren die Verbraucherinnen und Verbraucher direkt die besondere Qualität dieses Saftes (Geschmack/ohne Spritzmittelrückstände), aber auch die Leistungen der Landwirte für den Natur-, Landschafts- und Trinkwasserschutz. Dieses "Aufpreismodell" hat mittlerweile in verschiedenen Varianten bundesweit über hundert
Nachahmer gefunden.


Die Macht der Verbraucherinnen und Verbraucher

Äußerlich makelloses Plantagenobst und exotische Früchte standen in den letzten Jahrzehnten bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern hoch im Kurs - nicht zuletzt deshalb, weil durch geschickte Werbekampagnen und durch EU-Handelsklassenbestimmungen die Vermarktung von Streuobst über den Einzelhandel kaum noch möglich war.

Die entscheidende Trendwende kann erfolgen, wenn sich Verbraucher der besonderen Qualitäten von Obst- und Obstprodukten aus Streuobstwiesen wieder bewusst werden, gezielt solche Produkte aus der Region beim Einkauf bevorzugen und auch wieder vermehrt die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten von Streuobst für ihre Küche entdecken.


Landschaft, die schmeckt
Streuobst eignet sich keineswegs nur für Schnaps und Kuchen! Schon wegen der geschmacklichen Vielfalt lohnt es sich, die vielfältigen, heute kaum mehr genutzten Verwendungsmöglichkeiten wieder zu entdecken:

* Gegen den Durst: Apfelsaft und Apfelwein
* Für die Küche: Birnschnitz und Apfelessig
* Als Wintervorrat: Hutzeln, Dörrzwetschgen, Mus und Marmelade
* Für gemütliche Winternachmittage oder -abende: Backäpfel, Pflaumenlikör, Birnengeist
* Für fruchtige Schmausereien: Apfel-Bauerntopf und Käse-Birnen

Selbstgemachte Streuobstköstlichkeiten sind zudem auch hochgeschätzte Geschenke bzw. Mitbringsel. Entsprechende Rezepte gibt es mittlerweile in zahlreichen Broschüren und Kochbüchern.


Naturschutz mit dem Einkaufzettel

Über die Zukunft der Streuobstwiesen und damit auch über den Freizeitwert vieler Gemeinden und die Attraktivität zahlreicher Naherholungsgebiete entscheidet jeder von uns bei seinem Einkauf.

Saisonal, regional, ökologisch - werden diese drei Kriterien zur Leitlinie für das tägliche Einkaufsverhalten des Verbrauchers, gibt es auch für Streuobstwiesen eine echte Zukunftschance.

Deshalb ruft der BN zu einer landesweiten Verbraucherinitiative zur Erhaltung der Streuobstwiesen auf und appelliert an alle gesundheits- und umweltbewussten Bürgerinnen und Bürger:
* Kaufen Sie nicht das EU-genormte Plantagenobst oder Billiggetränke, sondern entscheiden Sie sich beim Einkauf von Obst und Obstprodukten (v.a. Obstsäfte) bewusst für Erzeugnisse aus Streuobstwiesen und fragen Sie gezielt auf dem Wochenmarkt oder im Bioladen danach, aber auch in ihrem Supermarkt danach.
* Kaufen Sie Ihr (Streu-)Obst möglichst direkt beim Besitzer von Streuobstwiesen. Viele Orts- und Kreisgruppen des BN haben Streuobstbörsen eingerichtet und vermitteln Adressen.
* Legen Sie sich einen Obstvorrat für den Winter an - das bringt die notwendigen Absatzmengen und hilft gleichzeitig, unnötige Einkaufsfahrten für kleine Mengen zu vermeiden. "Gewusst wie" und das Obsteinlagern ist heute auch in modernen Kellern kein unlösbares Problem mehr.
* Verwenden Sie möglichst regional erzeugtes Obst entsprechend dem saisonalen Angebot. Dies hilft, unnötige Transportwege sparen und ist ein wirksamer Beitrag zur Energieeinsparung (Flug- und LKW-Verkehr) und gegen Luftverschmutzung.


... und wo bleibt der Staat?

Auch der Staat ist gefordert, über die bestehenden Förderprogramm hinaus die Rahmenbedingungen für die Vermarktung von Streuobst grundlegend zu verbessern.

Dass die Streuobstvermarktung bei entsprechender Unterstützung gute Erfolgsaussichten hat, zeigen seit Jahren die positiven Erfahrungen der "Rhöner Apfelinitiative". Erfolgversprechende Konzepte hat auch die "Streuobstallianz" im Schwarzenberger Land (Lkr. Neustadt/Aisch) entwickelt.

Der BN fordert deshalb alle verantwortlichen Politiker auf, nicht nur in bunten Hochglanzbroschüren oder bei umweltpolitischen Sonntagsreden für bzw. mit Streuobstwiesen zu werben, sondern diesen durch verbesserte Vermarktungs- bzw. Absatzbedingungen echte Zukunftsperspektiven zu eröffnen.

Notwendig ist deshalb u.a.:
* Ein Vermarktungsförderungsprogramm nach dem Vorbild Baden-Württembergs.
* Die gezielte Unterstützung von Erzeugergemeinschaften und Vermarktungsinitiativen.
* Die finanzielle Förderung von Vermarktungsinfrastrukturen - z.B. zur Lagerung und zur Verarbeitung.
* Politische Initiativen auf EU-Ebene zur Streichung der 55 mm-Verordnung und zur Änderung der Handelsklassenbestimmungen, damit Streuobst über eine eigene Handelsklasse auch als Tafelobst marktfähig wird und regulär vermarktet werden kann.

Angesichts dieses relativ geringen Aufwandes wäre es in den Augen des Bundes Naturschutz unverantwortlich, die nicht zuletzt aufgrund des Engagements verschiedener Streuobstinitiativen bestehenden Chancen zur Erhaltung der Streuobstbestände und damit eines prägenden Bestandteils unserer Kulturlandschaft nicht zu nutzen.


gez.

Prof. Dr. Hubert Weiger
Landesbeauftragter

Helmut Schultheiß
Regionalreferent


Für Rückfragen:
Helmut Schultheiß, Bund Naturschutz, Bauernfeindstr. 23, 90471 Nürnberg
Tel. 0911/81 87 813, email: h.schultheiss@lfg.bund-naturschutz.de