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Die Kendlmühlfilzen – So eine Art Liebesgeschichte

Im Interview: Hermann Eschenbeck, langjähriger Vorsitzender der BN-Kreisgruppe Traunstein, erzählt  über den Kampf um die Kendlmühlfilzen, der für ihn eine Zeitenwende markierte.

Herr Eschenbeck, über viele Jahre, von 1991 bis 2008, waren Sie Vorsitzender der Kreisgruppe Traunstein. Das Drama um die Kendlmühlfilzen hat Sie fast Ihre gesamte Amtszeit hindurch begleitet, und auch schon davor schon als Vorstandsmitglied der Kreisgruppe. In welchem Zustand war das Moor, als Sie es kennengelernt haben?

Mein erster Besuch in den Kendlmühlfilzen muss so Ende der 70er Jahre gewesen sein. Fritz Lindenberg, der damalige 1. Vorsitzende der BN-Kreisgruppe Traunstein, hatte zu einer Protestversammlung auf den von Samen-Maier abgefrästen Moorflächen eingeladen. Da kam ich mir vor wie am Rand einer Flugzeugstartbahn.

Wenig später führte mich Friedrich Dürr, einer der besten Kenner der Kendlmühlfilzen, in das Rißflarkgebiet, also dorthin, wo das Moor seinem ursprünglichen Zustand noch am nächsten war. Zum besseren Verständnis: Flarke sind Vertiefungen im Moor, die typischerweise in parallelen Reihen auftreten. Im Rißflark-Gebiet sind sie als tiefe Risse im Torfkörper ausgeprägt. Nach diesen beiden Filzen-Erlebnissen wusste ich, was ich zu tun hatte.

Wie würden Sie die Kendlmühlfilzen jemandem beschreiben, der sie nicht kennt? Was macht ihren besonderen Reiz aus?

H.E.: Es ist zunächst einmal die schiere Größe. Die Moorfläche umfasst mehr als 700 ha. Wenn man mittendrin ist, fühlt man sich in einer ganz anderen Welt, abgeschieden von allem, was draußen zurückbleibt: Da sind die verkrüppelten Latschen, ein paar verstreute Birken, die ausgeprägten Bulten und Schlenken, die kleinen Wasserflächen, und überall die Torfmoospolster in den verschiedensten Farben, von hellgrün bis dunkelrot. So ungefähr stellt man sich Sibirien vor.

Aber dann blickt man nach oben: Da ist die vertraute Bergkulisse von Hochgern und Hochlerch. Vom tiefgelegenen Moor aus wirkt sie besonders gewaltig. Da weiß man: Man ist gleichzeitig im Chiemgau und in Sibirien.

Ein Name, der einen aufhorchen lässt, wenn man durch die Kendlmühlfilzen geht, ist der „Ewigkeitsweg“. Was hat es damit für eine Bewandtnis?

Von der Kendlmühle am östlichen Ende der Filzen und den umliegenden Siedlungen sind es fünf Kilometer und mehr auf einem Fußpfad bis zum Torfbahnhof, entlang dem Südabhang des Westerbuchbergs. Diese Strecke mussten die Torfarbeiter, die östlich der Filzen zu Hause waren, jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit zurücklegen. Und der Rückweg war genauso lang. Das konnte einem schon „ewig“ vorkommen. Wie hart das Leben der Torfarbeiter war, davon kann man sich heute kaum noch ein Vorstellung machen.

Worin liegt aus naturschutzfachlicher Sicht die Bedeutung und der besondere Wert der Kendlmühlfilzen?

Der Biologe Alfred Ringler, der die Moore am nördlichen Alpenrand so gut wie kein anderer kennt, beklagt in einer Untersuchung aus dem Jahr 2021, dass die Moorzerstörung auch nach dem Abklingen der überwiegend staatlich organisierten und geförderten Moorzerstörung um 1970 noch weitergegangen sei. So sind von den damals noch vorhandenen Moor-Beobachtungsflächen bis 2020 noch weitere 43% verschwunden, hat er in seiner Untersuchung 'Gesundheitscheck der Moore: Langzeit-Monitoring in Südostbayern' (ANL) festgestellt.

Die widersinnige Vernichtung von Moorböden geht im Arbeitsgebiet der Kreisgruppe Traunstein bis heute weiter, zum Beispiel im Bergener Moos. Da sind wir ehrlich froh, dass die Kendlmühlfilzen so groß sind und heute einen so hohen Schutzstatus haben. Wegen der schieren Größe des Naturschutzgebiets kann die Degradation umso schwerer von den Rändern in die Kernzone vordringen.

Erzählt nicht jeder, dass sein Schutzgebiet etwas ganz Besonderes ist? Wie lässt sich die außergewöhnliche Stellung der Kendlmühlfilzen belegen?

Das Besondere beim Kampf um die Kendlmühlfilzen lag für mich darin, dass dieser eine Zeitenwende markierte. Ende der Sechziger und Anfang der siebziger Jahre, das war eine Aufbruchszeit. Die Bürgerinnen und Bürger begannen, den Autoritätsglauben der Adenauer-Zeit abzustreifen: Es gab sozusagen über Nacht die Achtundsechziger, die APO, die Studentenbewegung. Und es sprossen allerorten die Bürgerinitiativen.

„Rettet den Geigelstein“ und „Rettet die Kendlmühlfilzen“ gehörten zu den ersten in der Bundesrepublik. Dass man politische Entscheidungen und Verwaltungsakte nicht mehr einfach hinnahm, sondern mit Zivilcourage und Sachverstand gegen den politischen und behördlichen Mainstream kämpfte – das war ein Stück Emanzipationsgeschichte unserer jungen Demokratie. Einige Kapitel dieser Geschichte wurden eben auch im Chiemgau geschrieben – und ich bin stolz darauf, dass die BN-Kreisgruppe Traunstein mit dabei war.

Bereits 1973 hat der Bund Naturschutz beantragt, die Kendlmühlfilzen unter Naturschutz zu stellen. Und dieser Antrag wurde sowohl von der Gemeinde Grassau als auch vom Landratsamt und der Oberen Naturschutzbehörde unterstützt. Das klang nach einer klaren Sache und einer schnellen Entscheidung. Trotzdem geschah erst einmal jahrelang gar nichts. Was ist die Erklärung dafür?

Der Abbau-Unternehmer Hans Maier aus Bodenkirchen war in seiner Heimat ein lokaler CSU-Funktionär und in seiner Partei gut vernetzt. Sicher hat er versucht, auf die Entscheidungsträger einzuwirken. Trotzdem ist es schwer verständlich, dass es von Anfang an zwar starke Befürworter des Moorschutzes gab, auch in der Regierungspartei, aber dessen ungeachtet, jahrelang nichts voranging.

Heißt das im Klartext, die Politik opferte das auch aus Sicht der Naturschutzbehörden schutzwürdige Moor, um einem Unternehmer und Parteifreund dessen Ausbeutung und Zerstörung zu ermöglichen?

Die bayerische Staatsregierung hat sich in Sachen Kendlmühlfilzen sicher nicht mit Ruhm bekleckert. Man muss aber auch bedenken, dass der Übergang vom Moornutz zum Moorschutz wirklich so etwas wie eine Kopernikanische Wende war. Seit urdenklichen Zeiten war das Moor Rohstoffquelle gewesen und potenzieller Siedlungsraum, den man dem Ödland abringen musste.

Den Grassauer Filzenbauern lag viel daran, dass ihnen der Zugriff auf ihre Torfstiche erhalten blieb für schlechte Zeiten – die ja wieder kommen konnten. Und viele der damaligen Gartler glaubten, dass es ohne den Torf nicht ginge.

Samen-Maier veranstaltete Fahrten mit der Bockerlbahn zu den Frästorf-Feldern, um sein angeblich segensreiches Wirken für das Moor zu demonstrieren. 1985 machten sich rund 400 Mitglieder des Bernauer Blumen- und Gartenfreunde-Vereins in acht (!) Bussen auf den Weg nach Bodenkirchen um sich zeitgemäße Gartenkultur (natürlich mit obligatorischem Torf) präsentieren zu lassen. Hans Maier finanzierte alles, und eine Gratis-Brotzeit gab es obendrein.

Ja, es dauerte schon einige Zeit, bis das Umdenken begann. Und die bayerische Staatsregierung machte wohl erst Dampf, als die öffentliche Meinung sich eindeutig dem Schutzgedanken zuneigte. Als ich auf unserem Holzlagerplatz mitten in den Kendlmühlfilzen im Mai 1997 ein Foto von Landwirtschaftsminister Dr. Reinhold Bocklet schießen konnte, wusste ich: Wir hatten es geschafft! Jetzt waren wir der Mainstream.

Torfabbau war ja in früheren Zeiten normal. Die Bauern in der Umgebung beschafften sich so den dringend benötigten Brennstoff, um im Winter heizen und kochen zu können. Was hat der BN gegen die alte Tradition des Torfabbaus, die dem Moor doch offenbar jahrhundertelang nicht geschadet hat?

Gegen den bäuerlichen Torfstich hatte und hat der Bund Naturschutz gar nichts. Ich darf dazu den Grassauer Gemeindesekretär Claus-Dieter Hotz zitieren, einen der ersten und wichtigsten „Querdenker“ in Sachen Kendlmühlfilzen, dem wir unter anderem die Rettung des Torfbahnhofs als Industriedenkmal verdanken: „Dieses Torfstechen für den Eigenbedarf hat dem Moor kaum geschadet. Es wurden nur kleine Entwässerungsgräben gezogen, die sich auf die angrenzenden Moorflächen kaum auswirkten. Nach dem Torfstechen wurde der zuvor beseitigte Aufwuchs (Abraum) wieder sorgfältig eingebaut, sodass blanker Torfboden später nicht mehr vorhanden war. Diese Torfstiche - wenn sie dann nicht mehr genutzt wurden – entwickelten sich zu kleinen Feuchtbiotopen, in denen sich vor allem Libellen und Schmetterlinge sehr wohl fühlten.“

Die Kontroverse zwischen dem Bund Naturschutz und den Filzenbauern hatte einen bestimmten Grund: Letztere behaupteten, dass ihre Torfstiche unter Wasser gesetzt würden, wenn der Bund Naturschutz auf seinen Grundstücken im Rißflark-Gebiet Anstau-Maßnahmen durchführen würde. Diese Befürchtungen haben sich nicht bestätigt.

Wie ging die Kreisgruppe mit der Situation um, dass das Moor parallel zum laufenden (bzw. nicht laufenden) Antrag auf Unterschutzstellung zerstört wurde? Und wie reagierte die Gemeinde, wie die Naturschutzbehörden?

Für die BN-Kreisgruppe Traunstein galt: Druck erzeugt Gegendruck. Unsere Mitgliederzahl kletterte von der Gründung 1972 bis zur Unterschutzstellung in den vierstelligen Bereich. Unser damaliger Vorsitzender Fritz Lindenberg brachte das Thema Kendlmühlfilzen in die großen Tageszeitungen der Bundesrepublik.

Für die Kreisgruppenzeitschrift „Naturschutz aktuell“, die er jahrelang gestaltete, gewann er Autorinnen wie Ruth Rehmann, die damals in der Gruppe 47 Furore gemacht hatte und eine bedeutende Akteurin in der neu entstandenen bundesrepublikanischen Literaturszene war.

1987 gelang dem Bund Naturschutz – durch Vermittlung von Claus-Dieter Hotz – der Erwerb von zwei Grundstücken von zusammen fast drei Hektar mitten im Rißflark-Gebiet. Jetzt hatten wir schon einmal ein Klagerecht, mit dem wir uns gegen eine drohende Austrocknung unserer Moorflächen wehren konnten.

Der Gemeinderat hat schon recht früh, nämlich im Mai 1978 für eine Beendigung des Torfabbaus und für Renaturierungsmaßnahmen durch Samen-Maier gestimmt. Die Naturschutzbehörden konnten nicht selber Naturschutzrecht setzen, sondern nur im vorgegebenen rechtlichen Rahmen handeln. Der war ihnen von der Politik vorgegeben.

Sie sagen, der BN hat Grundstücke in den Kendlmühlfilzen erworben. Wann war das, was waren die Ziele bzw. die Überlegungen dahinter, und was ist aus diesen Grundstücken geworden?

Ja, das war ein großes Glück für uns! 1987 gelang dem Bund Naturschutz – durch Vermittlung von Claus-Dieter Hotz – der Erwerb von zwei Grundstücken von zusammen fast drei Hektar mitten im Rißflark-Gebiet. Jetzt hatten wir schon einmal ein Klagerecht, mit dem wir uns gegen eine drohende Austrocknung unserer Moorflächen wehren konnten. Und natürlich brannten wir darauf, endlich mit dem Dammbau beginnen zu können. Dabei waren wir schließlich auch erfolgreich: Die von uns verbauten Schlitzgräben wuchsen so gut zu, dass wir sie nach ein paar Jahren kaum noch wiederfinden konnten.

Ist der Erwerb weiterer Grundstücke geplant, und wenn ja wieviel Geld wird dafür benötigt?

In den Kendlmühlfilzen halten wir wegen des jetzt erreichten hohen Schutzstatus weiteren Grunderwerb nicht mehr für nötig. Aber die BN-Kreisgruppe Traunstein fühlt sich auch verantwortlich für die vielen anderen bedrohten Moore in ihrem Arbeitsbereich. Unsere letzte Erwerbung war das Kalkquellmoor Dießenbach im Surtal, das wir in Zusammenarbeit mit dem Wasserwirtschaftsamt Traunstein wieder in einen guten Zustand gebracht haben.

Derzeit ist unser Augenmerk auf den westlich von Traunstein gelegenen Hochmoorkomplex Pechschnait gerichtet. Dafür gibt es Moor-Förderprogramme, deren wir uns bedienen können, aber auf Spenden für einen Grunderwerb sind wir trotzdem angewiesen, denn wenn der Eigenanteil auch nur 10% beträgt, so muss auch dieser erst mal finanziert werden.

Der Moorschutz ist heute zunehmend Staatsziel. Das treibt die Preise in die Höhe: früher 50 Cent, heute 15 Euro pro qm. Und wenn uns das Grundstück dann endlich gehört, fallen die teuren Renaturierungskosten an, von denen wir auch wieder 10% selber tragen müssen.

Stand der Bund Naturschutz da ganz allein oder hatte er Verbündete? Welche Rolle hatten sie, war die Aufgabenteilung?

Verbündete hatten wir gottseidank! Denkwürdig aus dieser Anfangszeit ist der Gymnasiallehrer Friedrich Dürr, der sich in und an den Kendlmühlfilzen sozusagen zu einem Privatgelehrten entwickelte und der mir als erster das Besondere an diesem Hochmoor erklärte.
1976 wurde die Bürgerinitiative „Erhaltet die Kendlmühlfilzen“ gegründet, unter maßgeblicher Beteiligung von Claus-Dieter Hotz. Die Bürgerinitiative, von ihrem 1982 ins Amt gewählten Vorsitzenden, dem erfahrenen Journalisten Hermann Schatz umgetauft in „Rettet die Kendlmühlfilzen“, entfaltete eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, die weit über den Chiemgau hinaus Aufmerksamkeit, ja Aufsehen erregte.

Hermann Schatz organisierte mit seiner Helferschar eine denkwürdige Ausstellung und eine Moorkonferenz, auf der neben kritischen Moorkundlern auch der rebellische Umweltpfarrer Jörg Zink aus Stuttgart zu Wort kam. Die bundesweite Aufmerksamkeit war gesichert. Die aufrüttelnden Lichtbildervorträge des Fotografen und Journalisten Hans Steinbichler taten ein Übriges.

Wie reagierte die Torfabbaufirma auf die Proteste der Naturschützer, wie die Politik?

Von der Sympathiewerbung der Firma Samen-Maier mit Bockerlbahnfahrten und Freibier habe ich schon berichtet. Die größten Bedenken gegen eine Unterschutzstellung und nachfolgende Renaturierung kamen von den Filzenbauern, die eine Vernässung ihrer Grundstücke und damit ein Ende des Handtorfstichs befürchteten.

Einige Bürger meinten sogar, dass das Wasser bei einem Anstau bis in ihre Keller eindringen könnte. Der Grassauer Gemeinderat entschied sich noch Ende 1992 dafür, eine Wiedervernässung als nicht verträglich anzusehen.

Diese Bedenken haben sich nach Durchführung der Renaturierungsmaßnahmen nicht bestätigt. Der bäuerliche Handtorfstich im südlichen Teil der Filzen wurde in der Schutzverordnung ausdrücklich erlaubt.

Die Einwände der Anlieger mussten natürlich in einem rechtsstaatlichen Verfahren abgearbeitet werden, das konnte nicht von heute auf morgen geschehen. Die Meinung, dass in den letzten Jahren vor der Unterschutzstellung eine aufgeklärte Bürgerschaft gegen eine bornierte Staatsregierung gestanden hätte, stimmt so nicht.

Wie ging die Geschichte weiter?

Endgültig auf „Grün“ gestellt wurde das Signal, als Landrat Jakob Strobl und sein Stellvertreter Hubert Neuberger den Traunsteiner Kreistag 1995 zur Zustimmung zu einem LIFE-Projekt der EU bewegen konnten. Jetzt war eine großflächige Renaturierung mit Maschinen-Power möglich.

Gab es irgendein Ereignis, das Sie als Wendepunkt in Erinnerung haben?

Ja! Mein schönster Tag in den Kendlmühlfilzen war der 25. Oktober 1995. Da konnte ich den ersten Spatenstich für den ersten Damm auf unserem Filzen-Grundstück tun. Mit dabei war unser Mitglied Karl Heinz Dobel, der letzte Vorsitzende der Bürgerinitiative, der den Renaturierungsplan für unsere Grundstücke ausgearbeitet hatte. Für diesen Tag hatten wir ziemlich genau acht Jahre, nämlich seit unserem Grunderwerb, gekämpft.

Dieser Oktobertag war der Auftakt für viele Arbeitseinsätze, bei denen wir die Schlitzgräben auf unseren Grundstücken und später auch auf den benachbarten Flächen südlich und westlich davon mit kleinen Holzbauwerken verschließen konnten. Unvergesslich für mich sind die Arbeitswochen mit der Pfadfindergruppe aus Laufen und darüber hinaus mit den ungarischen, tschechischen und französischen Pfadfindern unter der Schirmherrschaft von Dr. Sepp Heringer.

Im Jahr 1992 wurden die Kendlmühlfilzen endlich unter Naturschutz gestellt. Waren sie da noch eine erhaltenswerte Naturlandschaft oder waren sie eigentlich eine Industriebrache?

Industriebrache! Das klingt so fatal und so endgültig. Natürlich hat Samen-Maier nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet. Das ursprüngliche Hochmoor, das in einigen tausend Jahren entstanden ist – es ist zerstört und nicht mehr zu restaurieren. Aber es gibt Regenerationspotential. Natur ist nicht statisch, sondern entwickelt sich dynamisch.

So beobachten wir gespannt, was sich z.B. auf den neu geschaffenen Anstauflächen tut. Bald nachdem die künstlichen Seen vollgelaufen waren, durfte ich dort an einer ornithologischen Exkursion teilnehmen., Zu meiner Überraschung konnten wir sehen, dass sich Limikolen in nicht geringer Anzahl eingefunden hatten. Für die gab es damals hier sicher kaum Nahrung – aber Ruhe. Bei dieser Gelegenheit habe ich meinen ersten Rotschenkel gesehen.

Ralf Strohwasser, der Betreuer des LIFE-Projekts, berichtete über die Häufigkeit von Baumfalken, die die bald sehr zahlreichen Großlibellen jagten. Solche Beobachtungen von neuem Leben bedeuten natürlich keinen Freispruch für Samen-Maier. Statt Ersatzlebensräumen hätten wir auf jeden Fall lieber ein intaktes Hochmoor. Aber jetzt ist nun einmal so, wie es ist, und wir sollten genau hinschauen, was wir jetzt haben.

In welchem Zustand sind die Kendlmühlfilzen heute? Hat sich das Moor insgesamt und hat sich der Artenbestand inzwischen erholt?

Ist schon klar: Wenn man im LIFE-Projekt eineinhalb Millionen Euro in die Renaturierung gesteckt hat, dann will man auch Resultate sehen – und das so bald wie möglich.

Auch für den Laien ist sichtbar: Die Besenheide – ein Austrocknungsanzeiger - hat stellenweise deutlich erkennbar abgenommen. Torfmoose und Wollgras haben sich in Teilgebieten wieder ausgebreitet.

Freilich gibt es auch Flächen mit Aufstoß von mineralischem Wasser. Dort haben die Hochmoorpflanzen keine Chance, hier wachsen Seggen, Schilf, Rohrkolben und auch Weiden. Hier kann sich eine - allerdings hochmoor-untypische - Amphibien- und Insektenfauna ausbreiten.

Selbst wenn eine Renaturierung nicht oder nur teilweise gelingt: Auch degradierte und ausgetrocknete Moore können eine besondere Bedeutung für den Artenschutz haben. Sie sind Ersatzlebensräume für Arten trockener Offenlandstandorte, wie sie aus unserer Agrarlandschaft weitgehend verschwunden sind. Dazu gehören bestimmte Schmetterlingsarten, wie eine Studie der Laufener Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege gezeigt hat.

Was wir dringend bräuchten, wäre ein periodisch durchzuführendes, jeweils umfassendes Monitoring in den gesamten Kendlmühlfilzen, das Pflanzen, Insekten, Amphibien, Vögel und Säugetiere einschließt.

Haben sich die Kendlmühlfilzen heute so stabilisiert, dass man sie sich selbst überlassen und, wie es oft heißt, „Natur Natur sein lassen“ kann? Oder brauchen sie nach wie vor Pflege?

Prognosen sind immer schwierig, aber kaum möglich in einer Klima-Umbruchszeit wie der unsrigen. In den Kendlmühlfilzen, im Stauraum an der Nordkette der Alpen, haben wir sicher auf absehbare Zeit noch so viel Jahresniederschlag, dass es für Moorwachstum ausreicht, wenn auch wahrscheinlich in anderer jahreszeitlicher Verteilung.

Aber es gibt andere Probleme, wie etwa die zunehmende Verbuschung und Verwaldung. Wir haben Luftaufnahmen der Royal Air Force von unserem Landkreis aus dem Jahr 1945. Da sind praktisch die gesamten Kendlmühlfilzen noch waldfrei. Seither hat es nicht nur hier, sondern auch in anderen Mooren, die unsere Kreisgruppe betreut, einen gewaltigen Aufwuchs gegeben. Wie wird die künftige Entwicklung verlaufen?

Weiter: Jährlich gehen immer noch an die 70 kg Luftstickstoff auf jeden Hektar Land nieder. Wie wird sich das auf extreme Magerstandorte, wie sie unsere Hochmoore sind, auswirken?

Und ganz wichtig: In den letzten Jahren hat man erkannt, dass degenerierte Moore CO2-Schleudern sind, intakte oder in ihrer Funktion wiederhergestellte, dagegen CO2 speichern. Da liegt noch ein riesiges Potential für den Klimaschutz, auch in den voralpinen Mooren. Die Rosmarinheide und die Moosbeere sind da sozusagen die Zugaben.

Große Sorgen machen uns bayern- und europaweit auch die zunehmende Trockenheit und der Wasserverlust – gepaart mit verheerenden Hochwassern. Da können Moore als Puffer wirken. Wir müssen wegkommen von einer Politik, deren Ziel es ist, Oberflächenwasser möglichst schnell über Drainagen, Entwässerungsgräben und Vorfluter an die Unterlieger weiterzugeben. Wir müssen vielmehr versuchen, es in der Fläche zu halten. Da spielen auch die Moore eine wichtige Rolle. - Packen wir's an!