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CRISPR/Cas und Co - Neue Gentechnikverfahren als Risiken fürs Essen

Die Agrogentechnik soll wieder hoffähig werden, diesmal unter der Bezeichnung „Genome-Editing“: Geht es nach dem Wunsch von Biotech-Industrie und Teilen der Wissenschaft und Politik, sollen so erzeugte Lebensmittel ohne Zulassungsprüfung und Kennzeichnung auf den Markt kommen.

22.11.2019

"Die Risiken der neuen Gentechnik sind ähnlich denen, die bereits seit dreißig Jahren diskutiert werden", so Richard Mergner, BN Landesvorsitzender.

"Der "vorsorgliche Verbraucherschutz" und das Vorsorgeprinzip müssen Vorrang vor einem sogenannten "Innovationsprinzip" der Befürworter der neuen Gentechnikverfahren haben. Die Verbraucherzentrale Bayern (VZ) ist nicht gegen Innovation, sie muss aber verbunden sein mit einer angemessenen Risikobewertung", so Marion Zinkeler, Vorstand der VZ.
"Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Wahlfreiheit und Transparenz, und knapp 80 Prozent der Bevölkerung in Deutschland lehnen Gentechnik in der Landwirtschaft ab , wie die Naturbewußtseinsstudie des Bundesumweltministeriums nachweist", so Zinkeler.

Der BUND Naturschutz (BN) fordert deshalb von der bayerischen Staatsregierung sowie von der Bundesregierung und auch vom Präsidenten des Bayerischen Bauernverbands, der auch Vizepräsident des deutschen Bauernverbands ist, ein klares Bekenntnis zur Regulierung der neuen Gentechnikverfahren gemäß dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hat in seinem Urteil vom Juli 2018 festgestellt, dass auch die neuen Verfahren dem Gentechnikrecht unterliegen.

Bei einer Expertenanhörung im Bundestag am 4.11.2019 wurden die Differenzen auch innerhalb der Regierungskoalition deutlich. (1)

Risiken der neuen Gentechnik nicht geringer
Der EuGH verweist in seinem Urteil vom 25. 07. 2018 auf das Vorsorgeprinzip und betont, dass sich mit den neuen Verfahren die gleichen Wirkungen erzielen ließen wie mit der Einführung eines fremden Gens in einen Organismus (Transgenese). Außerdem ließen sich damit GVO in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß erzeugen als herkömmlich. Der EuGH schließt daraus: Die Regeln für die bisherige Gentechnik gelten auch für die neue Gentechnik.

Regulierung auf EU Ebene
Da die Agrogentechnik, auch Transgenese genannt, mit Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt verbunden ist, wurden Freisetzung, Anbau und Vermarktung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der EU gesetzlich geregelt. Die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG gründet auf dem Vorsorgeprinzip und schreibt für GVO eine Zulassungsprüfung, die Rückverfolgbarkeit und Beobachtung nach der Marktzulassung sowie die Kennzeichnung von Lebens- und Futtermitteln vor (tierische Lebensmittel sind allerdings bisher nicht erfasst). Vor allem die Kennzeichnung von mit Hilfe der Gentechnik erzeugten Lebens- und Futtermitteln soll Landwirten, Verarbeitern und Verbrauchern ein Mindestmaß an Wahlfreiheit sichern. In Deutschland gibt es zudem ein öffentlich einsehbares Standortregister und eine Haftungsregelung im Falle von GVO-Verunreinigungen.

Nicht identisch mit Mutagenese
Der EuGH urteilt des Weiteren, dass für die neue Gentechnik (auch als neue Mutagenese bezeichnet), die in der Freisetzungsrichtlinie enthaltene Ausnahmeregelung für herkömmliche Mutagenese (mittels Chemikalien oder Strahlenbehandlung) nicht gilt, da "sich die mit dem Einsatz dieser neuen Mutagenese-Verfahren verbundenen Risiken als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO im Wege der Transgenese auftretenden Risiken erweisen könnten" (2).
"Diese Klarstellung durch den EuGH macht deutlich, dass gehandelt werden muss", so Dr. Martha Mertens; Gentechnikexpertin des BN und BUND. "Der BN fordert die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich endlich um die Entwicklung von Nachweisverfahren für mit neuer Gentechnik hergestellte GVO zu kümmern. Dass die neuen Gentechnikverfahren nicht identisch sind mit den bisher eingesetzten Mutagenese-Verfahren, zeigen wissenschaftliche Arbeiten "(3), so Mertens weiter.

Keine Sicherheit, alte Probleme
Neue Gentechnik ist durchaus mit Risiken behaftet, selbst wenn der Ort der Veränderung spezifischer adressiert sein mag, denn spezifischer ist nicht gleichzusetzen mit sicherer. Zum einen treten technikbedingte Effekte auf, etwa wenn neben angestrebten kleinen Veränderungen an gewünschter Stelle umfangreichere Umlagerungen erfolgen oder wenn an anderen, nicht-erwünschten Stellen im Genom geschnitten wird (sogenannte off-target Effekte). Die Aktivität von Genen kann so verändert werden, unerwünschte Proteine und Stoffwechselprodukte können entstehen. Möglicherweise werden solche Effekte nicht sofort, sondern erst später, unter bestimmten Stressbedingungen, bemerkt. Pflanzen sind keine Baukästen.
Zum anderen ist wie bei der bisherigen Gentechnik zu fragen, welche Risiken die neuen Eigenschaften für die Umwelt und die menschliche Gesundheit mit sich bringen. So steht bei den mit neuer Gentechnik hergestellten Pflanzen Herbizidresistenz erneut an vorderer Stelle. Doch Herbizidresistenz erhöht den Herbizideinsatz - und damit die Belastung von Mensch und Natur - und verringert die Artenvielfalt (4). Auch die Entwicklung stresstoleranter Pflanzen wird zwar gerne beschworen, doch hat sich längst gezeigt, dass die Änderung/Einfügung eines oder weniger Gene der Komplexität des Geschehens zwischen Genom, ganzer Pflanze und Umwelt nicht gerecht wird: die klassische Züchtung, die die vorhandene genetische Vielfalt nutzt, ist hier deutlich erfolgreicher (5). Darüber hinaus dient auch die neue Gentechnik vor allem der industriellen Landwirtschaft, für die die großen Biotech- und Agrarmultis ihre Claims bereits mit umfangreichen Patenten gesichert haben.

Für Rückfragen:
Dr. Martha Mertens, Sprecherin BN AK Gentechnik, martha.mertens@t-online.de
Marion Ruppaner, BN Agrarreferentin, Tel. 0911 81878-20/21; marion.ruppaner@bund-naturschutz.de

 

Anlage:

Genome Editing - Was ist neue Gentechnik?

Unter neuer Gentechnik (auch als "neue Mutagenese" bezeichnet) firmieren verschiedene, zum Teil sehr unterschiedliche Verfahren zur gentechnischen Veränderung. Insbesondere beim sogenannten "Genome Editing" (der Begriff soll signalisieren, der genetische Text eines Organismus werde nur leicht umgeschrieben) sollen Veränderungen gezielter als mit bisheriger Gentechnik erreicht werden. Neben schon länger bekannten Verfahren, die sich spezifischer Nukleasen (DNA-spaltende Enzyme) bedienen, aber eher aufwändig im Einsatz sind, hat sich in den letzten Jahren vor allem die CRISPR/Cas Technik etabliert. Sie ist vergleichsweise einfach anzuwenden und kann bei Pflanzen wie Tieren und auch menschlichen Zellen eingesetzt werden.

CRISPR/Cas (clustered regularly interspaced short palindromic repeats/CRISPR associated) entstammt einem bakteriellen Abwehrmechanismus, der dem Abbau fremder DNA dient. CRISPR/Cas besteht aus einer Nuklease (Cas) und einer RNA-Sequenz. Mit Hilfe dieser RNA wird Cas zu einer passenden DNA-Sequenz geleitet, wo sie den DNA-Doppelstrang schneidet. Zelleigene Reparatursysteme verknüpfen die DNA wieder, wobei in der Regel Fehler passieren, sodass hier Mutationen entstehen. Es können so DNA-Bereiche verändert oder entfernt oder auch neu eingefügt werden. Damit lassen sich Gene stilllegen (knock-out) oder in ihrer Aktivität verändern, auch neue Genabschnitte lassen sich einbauen, wenn eine Reparaturvorlage mit eingebracht wird.


Anlage 2:

Sogenannte Opt out-Regelung auf EU-Ebene

Die im April 2015 in Kraft getretene Richtlinie (EU) 2015/412 erlaubt es den Mitgliedstaaten, den GVO-Anbau in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen (Opt-out). Im Rahmen des Zulassungsverfahrens für den Anbau eines GVO kann ein Mitgliedstaat den Antragsteller über die EU-Kommission auffordern, den Antrag geographisch so einzuschränken, dass das Territorium des Mitgliedstaates ganz oder teilweise aus dem Geltungsbereich der Zulassung herausfällt (Phase 1). Stimmt der Antragsteller dieser Aufforderung nicht zu, kann der Mitgliedstaat im Falle einer grundsätzlichen EU-Anbauzulassung den Anbau in seinem Hoheitsgebiet unter Angabe zwingender Gründe untersagen (Phase 2).

Als zwingende Gründe sind beispielhaft genannt: a) umweltpolitische Ziele, b) Stadt- und Raumordnung, c) Bodennutzung, d) sozioökonomische Auswirkungen, e) Verhinderung des Vorhandenseins von GVO in anderen Erzeugnissen, f) agrarpolitische Ziele, g) öffentliche Ordnung. Diese Gründe können - mit Ausnahme von g) - einzeln oder zusammen angeführt werden, sie dürfen jedoch nicht der von der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung für GVO widersprechen. Außerdem müssen sie verhältnismäßig sein und dürfen nicht diskriminieren.

Die deutsche Bundesregierung forderte in Nutzung der Phase 1 im September 2015 über die EU-Kommission die jeweiligen Antragsteller auf, die laufenden GVO-Anbauanträge so anzupassen, dass Deutschland vom Anbau der im Verfahren befindlichen 6 Gentech-Maislinien (darunter der bekannte Bt-Mais MON810) ausgeschlossen ist. Weitere 18 Mitgliedstaaten hatten für ihr gesamtes Hoheitsgebiet oder Teile davon vergleichbare Forderungen erhoben. Die Antragsteller haben diesen Aufforderungen zugestimmt. Dies bedeutet, dass in Deutschland und der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten der Anbau von GVO verboten ist.

In der Folge legte das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium unter Minister Christian Schmidt einen Gesetzentwurf vor, mit dem das deutsche Gentechnikgesetz (GenTG) dem neuen EU-Recht angepasst werden sollte - wichtig für den Fall, dass weitere GVO zum Anbau beantragt würden. Der BN und viele andere Verbände kritisierten den Entwurf, da die Zuständigkeit für die Nennung der zwingenden Gründe und die Umsetzung der Regeln bei den Bundesländern liegen sollte, was einen Flickenteppich an Regeln innerhalb Deutschlands erwarten ließ. Die Koalitionsparteien konnten sich über Monate nicht einigen. Die SPD warf CDU/CSU vor, die notwendigen Nachbesserungen für eine einfache rechtssichere Regelung für bundesweite Gentechnikanbauverbote zu verweigern. Als das Landwirtschaftsministerium quasi über Nacht in die Vorlage noch einen Passus einfügte, der neben das Vorsorgeprinzip ein sogenanntes (nicht definiertes) Innovationsprinzip stellte, verweigerte die SPD-Fraktion ihre Zustimmung. Damit war die GenTG-Novelle im Mai 2017 gescheitert.

Im aktuellen Koalitionsvertrag steht zum Thema Gentechnik: Ein Gentechnikanbau-Verbot werden wir bundesweit einheitlich regeln (Opt-Out-Richtlinie der EU). Ein neuer Gesetzentwurf für die Novellierung des GenTG wurde von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bislang jedoch nicht vorgelegt.

(1) www.bundestag.de/ausschuesse/a10_Ernaehrung_Landwirtschaft/anhoerungen

(2) curia.europa.eu/juris/liste.jsf

(3) Kawall K 2019, New Possibilities on the Horizon: Genome Editing Makes the Whole Genome Accessible for Changes. Front. Plant Sci. 10:525. doi: 10.3389/fpls.2019.00525

(4) Schütte et al. 2017. Herbicide resistance and biodiversity: agronomic and environmental aspects of genetically modified herbicide-resistant plants. Environ Sci Eur (2017) 29:5 DOI 10.1186/s12302-016-0100-y

(5) Gilbert N 2016. Frugal farming. Old-fashioned breeding techniques are bearing more fruit than genetic engineering in developing self-sufficient super plants. Nature 533: 308-310.