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Breitwasser statt Hochwasser:

Bund Naturschutz fordert Vorrang für den ökologischen Hochwasserschutz vor Poldern, höheren Deichen und Auwaldrodung

21.08.2007

 

Katastrophenmeldungen über überflutete Siedlungen und von Muren verschüttete Dörfer gehören fast schon zum sommerlichen Alltag, so auch im Sommer 2007. Ist Bayern ausreichend gerüstet ? Der Bund Naturschutz in Bayern e.V. (BN)  möchte folgende Defizite im Hochwasserschutz aufführen:

„Hochwasserschutz in Bayern wird von der bayerischen Staatsregierung vor allem durch oft sehr teure technische Groß-Projekte definiert. Doch Beton, Polder und noch eine Erhöhung der Deiche können die Bevölkerung vor einer erneuten Flut nicht wirklich schützen und verlagern die Probleme zu den Unterliegern.“ kritisiert Prof. Dr. Hubert Weiger, Landesvorsitzender des BN.. „Der ökologische Hochwasserschutz, d.h. die Rückverlegung von Deichen und Reaktivierung natürlicher Hochwasserräume wie der Auen oder Moore geht dabei unter. Für den Wasserrückhalt in der Fläche, z.B. den Moorschutz, wird zu wenig Geld ausgegeben. Ein nachhaltiges, ökonomisch und ökologisch sinnvolles Gesamtkonzept für die Sicherung eines intakten Landschaftswasserhaushaltes fehlt.“ Gepaart mit falscher Siedlungs- und Verkehrspolitik ist dies angesichts zunehmender Extreme durch die Klimaerwärmung eine gefährliche Entwicklung.

Der BN fordert daher einen absoluten Vorrang des ökologischen Hochwasserschutzes durch Schutz und Reaktivierung von Flüssen und Auen, eine konsequente Klimaschutz- und Verkehrsvermeidungs-Politik sowie ein konsequenter Rückhalt von Wasser im Einzugsgebiet der Flüsse durch Reduzierung der Flächenversiegelung und gerade in Südbayern durch Schutz der Moore. Technischer Hochwasserschutz ist nur als Ergänzung für den unmittelbaren Objektschutz anzusehen.

Zentrale Defizite aus Sicht des BN:

- Der Freistaat Bayern dagegen investiert vor allem in höhere Deiche, obwohl diese für Anwohner nur eine trügerische Sicherheit bieten und den Abfluss für die Unterlieger verschärfen. Hierfür werden in Bayern die meisten Finanzmittel investiert.

- An der Donau sind bereits die Raumordnungsverfahren für zwei Polder abgeschlossen, obwohl diese sehr teuer sind, nur bei Extremhochwasser genutzt werden, die Hochwasserwelle nicht verlangsamen und ökologisch schwere Schäden anrichten.

- An der Donau zwischen Straubing und Vilshofen werden Auwälder gerodet, um mehr Retentionsraum zu schaffen, obwohl dies zu einer Beschleunigung des Hochwassers für die Unterlieger und zu schweren ökologischen Schäden führt.

- An den Alpenflüssen wie der Oberen Isar und der Loisach soll für den Hochwasserschutz Geschiebe entnommen werden, obwohl dies zu einer Zerstörung der typischen Lebensräume (im Natura 2000-Gebiet) führt.

- Es fehlt ein Gesamtkonzept für die Flüsse und ihre Zuflüsse mit ihrem gesamten Einzugsgebieten.

- In den bayerischen Alpen wird Bergwald für den Skisport gerodet, obwohl dieser wichtig für den Wasserrückhalt ist und obwohl der  „Bergwald-Beschluss“ des Bayerischen Landtages Bergwald-Rodungen eigentlich verbietet.

- Der ökologische Flächenankauf findet in zu geringem Umfang statt.


Die Liste der Kritikpunkte des BN ist lang. „Anstatt das Problem an der Wurzel zu packen und den Flüssen und dem Wasser wieder den Raum zu geben, den ihnen der Mensch genommen hat, wird an den Symptomen kuriert und es werden alte Fehler fortgeführt.“  fasst Sebastian Schönauer, stell. Landesvorsitzender und Sprecher des BN und BUND AK Wasser das Grundproblem der Ausrichtung des Hochwasserschutzes in Bayern zusammen. „Hochwasserschutz darf nicht gegen die Natur durchgeführt werden, sondern kann nur mit ihr dauerhaft funktionieren: Breitwasser statt Hochwasser – so das Motto des BN für die Überflutung von Auen anstelle von Kellern.“ Dies stünde auch im Einklang mit den Vorgaben der europäischen Wasserpolitik (Wasserrahmenrichtlinie) und Naturschutzpolitik (Natura 2000). Gerade die Wasserrahmenrichtlinie ist eine historische Chance zur Wiederherstellung naturnaher, sauberer Gewässer, die auch dem Hochwasserschutz dienen. „Die Umsetzung dieser Richtlinie dümpelt jedoch wie der ökologische Hochwasserschutz vor sich hin.“ so Schönauer.

Besonders kritisiert der der BN die technischen Großprojekte der „Polder“ an der Donau. Günter Krell, Vorsitzender des BN in Neuburg rechnet im nächsten Jahr mit dem Planfeststellungsverfahren für den Polder Riedensheim bei Neuburg. Um bei schweren Hochwasserereignissen die Hochwasserspitze zu kappen, will die Wasserwirtschaft dort einen großen Auwaldbereich und eine landwirtschaftliche Fläche mit acht Millionen Kubikmetern fluten. "Wir sehen dieses Vorhaben sehr kritisch, denn an diesem Polder ist das große ökologische Problem ungelöst, dass der geflutete Raum nur langsam entwässert. Dadurch entsteht ein großer Staupolder mit einer kleinen Abflussöffnung." Im Gegensatz dazu fordert der BN, die Retentionsfläche durchfließbar zu bauen, damit kein Schaden an Vegetation und Grundwasser angerichtet würde.

Wirklich positive Beispiele eines ganzheitlichen und damit auch ökologischen Hochwasserschutzes sind dagegen rar. Dazu gehört für den BN v.a. die Reaktivierung von natürlichen Wasserrückhalteräumen in Auen, in Mooren und in der gesamten Landschaft (Mulden etc.). Beispielhaft sind hierfür die teilweise bereits durchgeführten und weitere geplante Deichrückverlegungen an der mittleren Isar (Isarplan 2020), jedoch befürchtet der BN hier aktuell ein Ablassen von dessen wegweisenden Zielen, da einige Abschnitte mit geplanten Deichrückverlegungen offensichtlich auf unbestimmte Zeit verschoben sind. Der Auwald zwischen München und Freising hatte beim Hochwasser 2005 den Scheitelabfluss um 180 m³, d.h. ca. 20% des Gesamtabflusses verringert und das Hochwasser verzögert.

Der ökologische Hochwasserschutz ist zwar eine der drei Säulen des Bayerischen Hochwasserschutzkonzeptes 2020 (vorgestellt im Jahr 2001), „doch diese Säule ist sehr schwach und existiert hauptsächlich in den Reden, nicht jedoch in der Praxis.“ kritisiert der BN. Das gleiche Schicksal hat offensichtlich das bayerische Auenprogramm, das ebenfalls hervorragende Grundlagen erarbeitet hat und nun der Umsetzung, d.h. einer aktiven systematischen Förderung neuer Projekte harrt. Auch für die Moorentwicklung haben die bayerischen Behörden mit dem Moorentwicklungskonzept sehr gute Fach-Grundlagen geschaffen, doch die Moorrenaturierung wird in Bayern nicht aus Hochwasserschutz-Geldern finanziert.

Dass viele Kleinmaßnahmen sehr wohl eine große Wirkung haben können, ist auch das Fazit der Halbzeitbewertung der EU-kofinanzierten Hochwasserschutzmaßnahmen Bayerns: „Die weiträumige Umsetzung [von] ... Kleinmaßnahmen könnte die gleiche Wirkung entfalten wie wenige Großvorhaben an den Unterläufen, ohne in gleichem Maße Eingriffe in bestehende Nutzungen und Strukturen zu verursachen.“

Wie nötig Deichrückverlegungen und die Rückgewinnung von Retentionsraum sind, zeigen die Zahlen zum Verlust an den deutschen Flüssen: sie haben nur noch rund 20% ihrer früheren natürlichen Überschwemmungsfläche. Ursachen dafür sind Flussbegradigungen, Deichbauten, Verkehrswege, Staustufen und die Ausweisung von Bau- und Gewerbegebieten. 90 % der Fließgewässer in Bayern sind verbaut. Mit einer Deichrückverlegung gewinnen der Hochwasserschutz und die Aue, deren Lebensräume weitgehend zerstört und gefährdet sind. Die Aue ist vom Fluss und von Hochwasser geprägt, ihre Lebensräume sind auf den Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser angewiesen. Die natürliche Überflutung von Auen entschärft die Hochwassergefahren für die Menschen und belebt die Lebensräume der Aue.

Das Grundproblem am ganzheitlichen ökologischen Hochwasserschutz ist der Flächenbedarf. Der BN fordert deshalb verstärktes finanzielles und personelle Engagement des Freistaates Bayern beim Flächenerwerb und bei ggf. nötiger Entschädigung. Und der BN fordert auch, dass ganzheitliche Konzepte nicht am Widerstand einzelner Personen scheitern dürfen. „Egoismus darf nicht über Allgemeinwohl stehen. Nötig ist ein Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen auch für die Unterlieger“.

Einen weiteres zentrales Defizit sieht der BN nach wie vor in der Bauleitplanung. „Es darf nicht sein, dass weiterhin in Überschwemmungsgebieten neue Schadenspotentiale geschaffen werden, die die Allgemeinheit später bezahlen muss“. Der BN fordert eine Überprüfung aller Flächennutzungspläne auf ihre Vereinbarkeit mit den Überschwemmungsgebieten und den überschwemmungsgefährdeten Gebieten. „Jeder kann sich diese Gefährdungen im internet ansehen, keiner kann sagen: das habe ich nicht gewußt.“ Wo schon Siedlungen im regelmäßigen Überflutungsbereich stehen und dauernd hohe Schäden haben, darf auch eine Umsiedlung nicht tabu sein. Beispielsweise werden die Ortschaften Moos und Hatzenhofen bei jedem großen Hochwasser überflutet, die Absiedlung scheitert jedoch an der geringen Entschädigungsbereitschaft des Freistaates Bayern. Ähnliches gilt für die Ortschaften Staubing und  Stausacker im Landkreis Kelheim.

Der BN fordert die bayerische Staatsregierung, aber auch alle Kommunen auf, in der bayerischen Hochwasserschutz-Politik umzusteuern und den Schwerpunkt auf einen ganzheitlichen ökologisch und ökonomisch dauerhaft tragfähigen Hochwasserschutz zu legen – vor dem nächsten Hochwasser !


gez. Prof. Dr. Hubert Weiger
Landesvorsitzender des BN

gez. Sebastian Schönauer
stellv. Landesvorsitzender des BN
Sprecher des AK Wasser in BN, BUND

gez. Günter Krell
Mitglied des Landesvorstand


Für Rückfragen: Dr. Christine Margraf, Leiterin Fachabteilung München:
089/548298-89, christine.margraf@bund-naturschutz.de
Ein Hintergrundpapier des BUND „Ökologischer Hochwasserschutz“: www.bund.net

Anlagen: siehe download-Datei


Anlage 1: Elemente eines ganzheitlichen ökologischen Hochwasserschutzes

Anlage 2: Wasserrückhalt in der Fläche: Maßnahmen in der Landwirtschaft

Anlage 3: Investitionen im Hochwasserschutz in Bayern