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"Die Verhinderung der WAA war ein Beitrag zur Sicherung der Demokratie“

Im Interview: Prof. Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern (BN) und des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Als Beauftragter des BUND Naturschutz für Nordbayern engagierte er sich in den 80er-Jahren mit-federführend gegen den Bau der WAA in Wackersdorf.

Wann haben Sie von der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf erfahren?

Befürchtet haben wir das bereits Anfang der 80er-Jahre. Damals gab es massive Konflikte um die so genannte Landessammelstelle in Mitterteich, ein Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Wir haben einen Zusammenhang mit einer Wiederaufarbeitungsanlage in der Oberpfalz vermutet – und Recht behalten. Zudem drängte die damalige Koalition auf Bundes- und Landesebene auf eine zügige Verwirklichung einer deutschen WAA. Als die Betreibergesellschaft DWK im Februar 1982 das Raumordnungsverfahren beantragt hat, traf uns das also nicht unvorbereitet. Wir waren bereits mit den Bürgerinitiativen vor Ort verbunden und unser Energiereferent, der Atomphysiker Ludwig Trautmann-Popp, konnte die Proteste von Anfang an fachlich begleiten. 

Wenn die WAA gebaut worden wäre, wie sähen Wackersdorf, der Landkreis und Nordbayern heute aus?

Einige Gebäude und die Umzäunung sind ja tatsächlich realisiert worden, daher kennen wir das Ausmaß des damaligen Bauvorhabens: Ein Industriekomplex inmitten der damals noch geschlossenen Waldlandschaft der Bodenwöhrer Senke. Heute ist übrigens BMW der unmittelbare Profiteur, der nach dem Baustopp das Land und die Infrastruktur zum Billigstpreis erworben hat. Eine dramatische Auswirkung der WAA wäre die Gefährdung des wichtigsten Grundwasserreservoirs der nördlichen Oberpfalz durch Leckagen sowie eine Belastung der Luft gewesen. Ein zentraler Punkt für uns war außerdem die Gefährdung der Demokratie. Das Gebiet wäre heute Sperrgebiet und hätte weit über die Umzäunung hinaus gesichert werden müssen. Die Bewachung der Anlage hätte den Weg in eine Polizeiregion geebnet, und Grundrechte wären Zug um Zug eingeschränkt worden. Daher war die Verhinderung der WAA ein klarer Beitrag zur Sicherung der Demokratie.

BN und BUND haben sich im Laufe der Jahre mit vielfältigen Aktionen gegen den Bau eingesetzt. An welche Stationen erinnern Sie sich besonders?

Die WAA hat uns über fast ein Jahrzehnt intensiv beschäftigt. Ludwig Trautmann-Popp und ich waren in dieser Zeit häufig vor Ort, ebenso wie Hubert Weinzierl, Enoch zu Guttenberg und viele andere. Ein wichtiges Ereignis war die erste große Demo in Schwandorf 1985 mit Robert Jungk als Hauptredner. Damals waren Zehntausende gekommen und setzten ein Signal für den Aufbruch des Widerstandes. Ein wichtiger Baustein war außerdem das BUND-Wackersdorf-Forum im September 1986, eine Veranstaltung mit Künstlern und Vertretern aus der Region. Kurz nach Tschernobyl ging es damals um die grundsätzliche Problematisierung der Atomenergie. Wichtig waren schließlich auch die Erörterungswochen 1988 mit Hunderttausenden von Einwendungen. Bedeutende Stationen des Widerstandes waren außerdem der Bau des Hüttendorfes und die Demo an Pfingsten 1986, als es zu den brutalen Reizgas-Einsätzen kam. 

Wie haben Sie die Stimmung vor Ort erlebt?

Über die Kreisgruppe Schwandorf mit Klaus Pöhler, Arnold Kimmerl und vielen anderen war der BUND Naturschutz permanent vor Ort. Motivierend war, dass sich Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und auch viele junge Leute gegen die WAA engagiert haben. Symbolfiguren wie Landrat Schuierer und die engagierten Pfarrer haben viele Menschen dazu bewegt, sich dem Widerstand anzuschließen. Im Kampf vor den Gerichten haben wir Hilflosigkeit erlebt, es gab aber auch ermutigende Aspekte: Der Widerstand war sehr kreativ und bunt, und mit der Zeit konnten wir weit über die Region hinaus immer mehr Menschen für die Sache gewinnen. 

Haben Sie während des fast zehnjährigen Widerstands immer daran geglaubt, dass sich die WAA verhindern lässt?

Ich habe es immer gehofft. Nach dem Baubeginn war die Hoffnung allerdings gering, denn uns wurde klar, dass die Regierenden mit allen Mitteln an dem Projekt festhalten würden. Doch als Naturschützer ist man gewohnt, nicht aufzugeben. Daher hieß für mich die Botschaft von Wackersdorf: Wir müssen weiter machen, auch wenn die Gebäude schon stehen. Unsere Hoffnung war, dass sich das Wahnsinnsprojekt gegen den wachsenden Widerstand der Bevölkerung in einer Demokratie nicht durchsetzen lässt. 

Über Jahre hat der Widerstand nicht abgenommen, sondern zugenommen, wie kam das?

Wir haben es geschafft, den Widerstand vor Ort fest zu verankern, gleichzeitig haben wir verhindert, dass er kriminalisiert wird. Die Leute wussten, wir kämpfen alle gemeinsam für ihre Heimat. So konnten wir immer mehr Menschen aus Deutschland und auch aus Österreich mobilisieren. Gleichzeitig gab es 1986, nach Tschernobyl, nochmals einen extremen Schub gegen die Atomenergie in Deutschland. Damit wurde Wackersdorf zur breitesten Bürgerbewegung, die wir jemals hatten und die wir erst jetzt wieder im Widerstand gegen die Donauzerstörung erreichen. 

In Wackersdorf trafen ganz unterschiedliche Widerstandsgruppen und  -formen aufeinander. Wie hat sich der BUND Naturschutz positioniert?

Für uns war immer klar, wir können den Widerstand nur friedlich aufrechterhalten. In den Medien sind überwiegend Bilder der Gewalt transportiert worden. Eine unserer zentralen Aufgaben war, die Gewaltfreiheit nach außen zu tragen. So haben wir vielen Menschen den Zugang zum Widerstand ermöglicht und eine breite Bewegung gegen die WAA erreicht. Tatsächlich waren Gruppen, die Gewalt befürwortet haben, auf ein sehr kleines Spektrum begrenzt.

Im Protest gegen die WAA hat sich der BUND Naturschutz offensiv gegen den Staat gestellt. Hat der Widerstand den Verband verändert?

Seit Anfang der 70er-Jahre haben wir uns immer wieder massiv gegen staatliche Planungen gestellt und so zum Beispiel Bauprojekte verhindert. Wackersdorf war aber anders, denn es war kein Konflikt mit einem einzelnen Ministerium, sondern mit dem gesamten Staat. Als einer der zentralen Träger des Widerstandes war der BUND Naturschutz fast zehn Jahre lang in Konfrontation mit der CSU und der Staatsregierung. Wir konnten den Widerstand in dieser Breite und über diese lange Zeit nur aufrechterhalten, weil wir uns finanziell schon Mitte der 80er-Jahre von den Geldern des Freistaates unabhängig gemacht hatten. Das heißt, wir waren nicht erpressbar. Gleichzeitig standen unsere Kreis- und Ortsgruppen zu hundert Prozent geschlossen hinter dem Widerstand, ganz gleich, welcher Partei die Mitglieder und Kreisvorsitzenden angehörten. So hat uns der Kampf gegen die WAA in den Prinzipien der finanziellen Unabhängigkeit und der Überparteilichkeit bestätigt. 

Wie war die Stimmung, als die Bayerische Staatsregierung den Baustopp bekanntgegeben hat?

Das Aus für die WAA ist sicherlich einer der größten Erfolge in unserer über hundertjährigen Verbandsgeschichte. Uns allen ist damals ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Relativ schnell sind wir Aktivisten dann zusammengekommen und haben überlegt, wie wir den Erfolg feiern könnten. Doch dazu kam es nicht. Es standen neue Projekte an, und gleichzeitig hat es die CSU geschafft, den Baustopp umzudeuten und als Erfolg ihrer Politik darzustellen. Eine Konsequenz, die ich aus dem WAA-Erfolg gezogen habe ist, die Basis immer zu ermuntern, Erfolge auch zu feiern. 

Noch ist der Atomausstieg nicht Realität. Was gibt es für den BUND Naturschutz noch zu tun?

Heute, Ende des Jahres 2015, sind in Deutschland noch acht Atomkraftwerke in Betrieb. Sie produzieren Atommüll, ohne dass die Endlagerfrage geklärt ist. Daher müssen wir nicht nur permanent den Sofortausstieg fordern, sondern uns auch für Alternativen einsetzen: Das heißt, Verminderung des Energieverbrauchs sowie Energieeffizienz und Ausbau der Erneuerbaren Energien. In den letzten Jahren haben wir sehr viel erreicht: Als Industrienation können wir durch die vorhandenen Technologien schneller aus der Atomenergie aussteigen als ursprünglich geplant. Wenn wir dies schaffen, dann gibt es weltweit kein Argument mehr für Atomkraftwerke – außer man will das Plutonium für Bomben. Deutschland nimmt beim Atomausstieg weltweit eine Vorreiterrolle ein. Die Basis dafür haben alle Aktiven im Kampf gegen die WAA gelegt. 

Was können wir heute von Wackersdorf lernen?

Wir sollten daran denken, dass wir gemeinsam viel bewegen können. Durch ehrenamtliches Engagement bringen wir die Wahrheit ans Licht und gekaufte Gutachten zu Fall. Gleichzeitig müssen wir uns noch stärker als bisher international verbinden, denn die Atomkraft macht nicht an den Grenzen halt. Und schließlich müssen wir die Energiewende von unten durchsetzen und aus der Oberpfalz eine Sonnenpfalz machen!