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Eichenprozessionsspinner bekämpfen ohne Gift

Mit der Klimakrise nehmen die Eichenprozessionsspinner zu. In Städten werden die Allergie-Auslöser aber sehr unterschiedlich behandelt. Vorbildliche Kommunen untersuchen im Siedlungsbereich den Befall, entscheiden, ob es reicht, den Baum mit einem Warnschild zu kennzeichnen oder den Bereich abzusperren. Wenn eine Entfernung nötig ist, behandeln sie die Gespinste mechanisch.

Der Eichenprozessionsspinner ist eine in Deutschland einheimische Schmetterlingsart. Die Raupen bilden ab dem dritten Entwicklungsstadium Brennhaare aus, die ein Nesselgift enthalten. Dieses kann beim Kontakt mit Menschen Hautausschläge verursachen. In seltenen Fällen können auch Reizungen der Augen oder der Bronchien auftreten. Von daher kann vom Eichenprozessionsspinner temporär eine gesundheitliche Gefahr, insbesondere im Umfeld von Kindergärten und Spielplätzen, ausgehen, die eine Bekämpfung rechtfertigen.

Das gesundheitliche Problem wird völlig überschätzt. Verglichen mit Gefahren des täglichen Lebens ist der Eichenprozessionsspinner ein eher geringes Übel: Über 3.000 Menschen sterben jährlich im Straßenverkehr in Deutschland (Stand 2019), noch mehr sterben bei Unfällen im Haushalt. Etwa 390.000 Verletzte gibt es jährlich im deutschen Straßenverkehr (Stand 2019).

Statistiken zu allergischen Schocks und ernsten Gesundheitsgefahren durch Eichenprozessionsspinnerhaare gibt es nicht, bei Veröffentlichungen werden nur Einzelfälle angegeben.

Ausgelöst durch zahlreiche Presseberichte über Spritzaktionen von Kommunen gegen den Eichenprozessionsspinner im Frühjahr 2020 recherchierte der BUND Naturschutz nach. Das Ergebnis war zunächst erschreckend, weil etliche Gemeinden angaben, „vorbeugend“ Pestizide gegen die Raupen einzusetzen. Eine dadurch ausgelöste Landtagsanfrage von MdL Tessa Ganserer und MdL Hans Urban (Bündnis 90-Die Grünen) erbrachte Ende 2020 eine Datenflut aus dem Bayerischen Umweltministerium.

183 Kommunen haben 2020 die Raupen und Gespinste der Eichenprozessionsspinner in Bayern ausschließlich mechanisch bekämpft und kein Gift eingesetzt. Von der kleinen Gemeinde Dittenheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen über die Kleinstadt Roth bis zur Großstadt Fürth. Das ist sehr erfreulich und hilft, gegen das Insektensterben anzugehen und trotzdem Bürgerinnen und Bürger vor den allergieauslösenden Raupenhaaren zu schützen.

Die Gemeinde Uttenreuth (5.169 EinwohnerInnen 2018; Landkreis Erlangen-Höchstadt) hatte noch 2019 gegen die Raupen gespritzt, aber 2020 entschied sich Bürgermeister Frederic Ruth angesichts des Insektensterbens anders zu handeln. Die Nester an 20 Eichen im Siedlungsraum wurden abgeflämmt und damit das Problem beseitigt.

Auch die Stadt Fürth (127.748 EinwohnerInnen 2019) ist eine der pestizidfreien Kommunen in Bayern. Seit Jahren bekämpft die Stadt Eichenprozessionsspinnerraupen dort, wo es nötig ist und ausschließlich mechanisch. 2020 war das immerhin an 300 Bäumen. Laut Dr. Thomas Jung, Oberbürgermeister der Stadt „kostet das zwar etwas, aber wenn wir Biozide einsetzen würden, müssten wir zusätzlich mechanisch die Nester entfernen, das würde letztlich teurer kommen.“

Weil sie trotz vieler befallener Bäume mechanisch behandelten sind unsere positive Spitzenreiter:

  • Bayreuth (378 Bäume mechanisch behandelt)
  • Fürth (ca. 300)
  • Teublitz, Lkr. Schwandorf (ca. 300)
  • Neumarkt/Opf. (über 250)
  • Weiden/Opf. (203)

Das Volksbegehren ‚Rettet die Bienen‘ hat in etlichen Gemeinden offenbar zum Nachdenken geführt. Sie wollen sich nicht länger mitschuldig machen am Artensterben und haben auch in einer schwierigen Situation Gifte vermieden. Der BN appelliert an alle Kommunen, keine Biozide mehr einzusetzen, sondern die Nester ausschließlich mechanisch zu beseitigen.

Gift gespritzt

221 Kommunen haben 2020 insgesamt über 20.000 Eichen mit Bioziden gespritzt. Negative Spitzenreiter sind Schweinfurt (1.291 Bäume!), Donauwörth (688), Rosenheim (580), Erlangen (578), Neuburg/Donau (500), Nördlingen (448), Schrobenhausen (450), Stockstadt/Main (437), Senden (420). Über 20 Prozent der Kommunen gaben an, dass sie die vorgeschriebene Abwägung, welche Methode angewandt werden kann, missachtet und gleich auf das Giftspritzen gesetzt haben. Sire spritzten eines der beiden zugelassenen Biozide „Neem Protect“ (aus Extrakt des Neembaumes) und „Foray ES“ (aus Bacillus thuringeniensis kurstaki).

Wirkung der Biozide Neem Protect und Foray ES

NeemProtect mit dem Wirkstoff Margosa-Extrakt des indischen Neem-Baums ist ein Fraßgift und führt zum Fraßstopp. Alle Raupen, die die mit dem Gift benetzten Blätter fressen, sterben. Es hat laut Umweltbundesamt eine hohe aquatische Toxizität und wirkt auch auf alle anderen Insekten. Ein Einsatz mit Spritzkanonen ist nur erlaubt, wenn mindestens 90 m Abstand zu Gewässern eingehalten wird. Es besteht auch das Risiko indirekter Wirkungen v.a. für Vogel- und Fledermausarten.

Das alternativ eingesetzte Mittel ‚Dipel ES (Foray ES)‘ mit dem Wirkstoff Bacillus thuringiensis kurstaki (Btk) ist auch ein Fraßgift. Es führt zur Darmperforation bei Raupen. Problem: Es wirkt spezifisch auf alle Raupen nicht nur des Eichenprozessionsspinners. V.a. für Vogel- und Fledermausarten mit spezifischem Beutespektrum kann das negative Auswirkungen haben.

Bayernweit gibt es bislang keinerlei Untersuchungen zur Wirkung der beiden Biozide auf die Insektengemeinschaften der alten Eichen.

Vorgeschriebene Abwägung oft missachtet

Alle spritzenden Kommunen gaben 2020 an, vorher eine Untersuchung des Befalls durchgeführt zu haben (100%), aber nur 174 Kommunen führten vorher die vorgeschriebene Abwägung der Behandlungsmethoden durch (ca. 79%). 21% verhielten sich rechtswidrig, denn das Spritzen mit Bioziden ist die letzte der möglichen Bekämpfungsformen. Vorrang haben Absperren (wo möglich) und mechanische Beseitigung (wo nötig).

Die bayerischen Regierungsbezirke sind seit etlichen Jahren unterschiedlich von Eichenprozessionsspinnerbefall betroffen. In Nordbayern besteht hier ein Schwerpunkt der Ausbreitung. Nach Regierungsbezirken aufgeschlüsselt wurde folgende Anzahl von Bäumen gespritzt:

  • Unterfranken 4.280 Bäume
  • Mittelfranken 2.482 Bäume
  • Oberfranken 1.715 Bäume
  • Oberpfalz 1.560 Bäume
  • Oberbayern 2.773 Bäume
  • Schwaben 7.364 Bäume
  • Niederbayern 189 Bäume

Summe: 20.363 Bäume

Damit wurden über 20.000 Bäume in Städten gespritzt. Die Folge: Insektenfressende Vögel und Fledermäuse finden auch in Städten immer weniger Nahrung. Denn die alten Eichen gelten als besonders wertvolle Insektenlebensräume, aber nur, wenn sie nicht gespritzt werden. Mehr als 2.000 Arten wie der Braune und der Blaue Eichen-Zipfelfalter oder der Hirschkäfer sind auf Eichen nachgewiesen.

Die Liste der Kommunen ist unvollständig, da einige Kommunen, die über die Medien Spritzeinsatz bekanntgaben, nicht aufgeführt sind (z.B. Oberasbach, Lkr. Fürth) oder deren mechanische Bekämpfung seit Jahren und auch 2020 anderweitig dokumentiert ist (z.B. Nürnberg).

„Pestizidfreie Kommune“

Etliche Kommunen beteiligen sich an der BUND-Kampagne „Pestizidfreie Kommune“, darunter auch die Stadt Fürth und die Gemeinde Uttenreuth (Karte unter https://www.bund.net/umweltgifte/pestizide/pestizidfreie-kommune/).

Der BUND Naturschutz ruft alle bayerischen Kommunen dazu auf, sich grundsätzlich pestizidfrei zu entwickeln, d.h. keine Herbizide mehr auf Gehwegen, auf Friedhöfen oder in Parks einzusetzen, keine Insektizide mehr zu verspritzen und auch Pilzgifte und Rattengifte zu vermeiden.

Weil die Antworten des Umweltministeriums nicht alle Fragen beantworteten und neue Fragen auftauchten, wurde von Tessa Ganserer und Hans Urban (B90-Die Grünen) Anfang November 2020 eine weitere Anfrage gestellt.

Dateien zum Download:

Landtagsanfrage B90-Die Grünen 2020

Antwort des bay. Umweltministeriums1

Antwort des bay. Umweltministeriums2 (Ergänzung)

Auswertung BN (pdf)

Erneute Anfrage