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Natura 2000: Europas Natur wächst zusammen

BN und LBV betonen Chancen für eine
naturverträgliche Landnutzung

18.06.2004

Europa wird konkret, auch die Natur wächst zusammen: zwei Wochen nach der Europawahl wird am 25. Juni das „Dialogverfahren" zur Gebietsauswahl der Natura 2000-Gebiete in Bayern beginnen. Natura 2000 ist ein europaweites Netz von „FFH-“ und Vogelschutzgebieten für den Biotopverbund, es soll den Rückgang der Artenvielfalt aufhalten. Erst kürzlich betonte Umweltminister Dr. Schnappauf, dass Natura 2000 ein „Verbundsystem fürs Leben und folgende Generationen“ bilden soll.

Bund Naturschutz in Bayern e.V. (BN) und Landesbund für Vogelschutz e.V. (LBV) haben dies zum Anlaß genommen, die Chancen von Natura 2000 aufzuzeigen. Natura 2000 ist eine einmalige Chance für den Erhalt der Artenvielfalt, für eine naturverträgliche Land- und Forstwirtschaft und einen naturverträglichen Tourismus. „Natura 2000 ist gerade in Bayern als bedeutender weicher Standortfaktor zu sehen“, entgegnet Ludwig Sothmann, Landesvorsitzender des LBV den vielen kritischen Stimmen gegen Natura 2000. Um so mehr bedauern beide Naturschutzverbände, dass gerade die bayerische Staatsregierung diese Chancen und auch die finanziellen Möglichkeiten von Natura 2000 bisher kaum betont. Hubert Weiger, Landesvorsitzender des BN, fordert daher eine „Werbekampagne“ für Natura 2000. „Gegen die verbreiteten falschen Vorstellungen brauchen wir öffentliche Aufklärung über die Konsequenzen von Natura 2000, und wir brauchen auch endlich in Bayern eine FFH-Prämie."
An die Eigentümer von geplanten FFH-Flächen appellieren die beiden Verbände, im „Dialogverfahren“ die Natura 2000-Meldung nicht abzulehnen, sondern dies als Anerkennung und Sicherung naturverträglicher Nutzung zu sehen. „Denn es ist klar: europäische Fördergelder werden künftig verstärkt in europäische Schutzgebiete gehen.“ so Sothmann.

Für Kommunalpolitiker, die zur Herausnahme von FFH-Flächen auffordern, haben beide kein Verständnis: „Wer zur Streichung von FFH-Flächen aufruft, handelt verantwortungslos und ruft letztlich zum Gesetzes-Bruch auf.“ verdeutlichte Weiger. Ein europäisches Netz braucht Fläche, die nun zur Meldung anstehende Gebietskulisse ist nach Ansicht von BN und LBV keineswegs ein Maximum, sondern „mit einigen Lücken gerade einmal ein Minimum dessen, wofür wir europaweit Verantwortung tragen.“ waren sich Weiger und Sothmann einig. Die Meldung müsse nun zügig abgeschlossen werden, damit endlich die inhaltliche Umsetzung von Natura 2000 in den gemeldeten Gebieten - vorrangig die Ausweisung nach deutschem Recht und die Erstellung von Managementplänen - begonnen werden könne.


Prof. Dr. Hubert Weiger Ludwig Sothmann
Landesvorsitzender BN Landesvorsitzender LBV





Für Rückfragen:

Christine Margraf, Bund Naturschutz Fachabteilung München,
Tel.: 089/548298-89, christine.margraf@bund-naturschutz,de

Dr. Andreas von Lindeiner, Landesbund für Vogelschutz, Artenschutzreferent, Tel.: 09174/4775-30, a-v-lindeiner@lbv.de



Hintergrund-Information:

Das „Dialogverfahren“
Obwohl der Freistaat Bayern schon Anfang November einen Entwurf für die Nachmeldung bayerischer „FFH-“ und „Vogelschutzgebiete“ im Internet veröffentlicht hat, wurde das Dialogverfahren so lange verschoben, bis die Europawahl vorbei war. Ein unnötiger Zeitverlust, zumal die Gebietsmeldung bereits 6 Jahre verspätet und nur unter Androhung erheblicher Strafzahlungen durch die EU erfolgt. Die Notwendigkeit der Nachmeldung wird insbesondere vom Bauernverband und vielen Kommunalpolitikern nach wie vor in Frage gestellt, falsche Vorstellungen von Einschränkungen in den Gebieten („Enteignung“) werden unbeirrt vorgetragen. BN und LBV haben begrüßt, dass diese Gebietsvorschläge bereits frühzeitig im Internet dargestellt waren. Nötig ist aber nun eine öffentliche Darstellung der Konsequenzen und positiven Chancen einer Gebietsausweisung. Die öffentliche Auslegung darf nicht wie im Jahr 2000 zu einem Willkürakt der Streichung führen.

Die Gebietskulisse – die „3. Tranche“
Die jetzige Nachmeldung ist dringend notwendig, um das europäische Netz von Schutzgebieten auch in Bayern eng genug zu knüpfen. Im Jahr 2000 wurden 6,7 % der bayerischen Landesfläche als FFH-Gebiete gemeldet. Zusammen mit den Vogelschutzgebieten nahmen sie nur 7,9 Prozent der Landesfläche Bayerns ein. Noch bis vor einem Jahr hatte die Staatsregierung behauptet, die Natura 2000-Meldung in Bayern sei abgeschlossen. BN und LBV haben dagegen seit Jahren darauf hingewiesen, dass die bisherige Meldung keineswegs ausreicht, um die biologische Vielfalt in Bayern zu schützen. Es fehlen zentrale Gebiete, besonders Moore, Wiesen und Buchenwälder. Viele Lebensräume bedrohter Arten, von Säugetieren wie dem Fischotter, von Amphibien wie dem Kammmolch oder von Fischen wie dem Bitterling sollten ausgeklammert bleiben. Auch bei den Vogelschutzgebieten fehlten zentrale Gebiete, z.B. für den Ortolan oder die Wiesenweihe.
Ende 2002 hat auch die EU-Kommission die Defizite der Gebietsmeldung kritisiert und attestierte insbesondere Deutschland, und damit auch Bayern, gravierende Lücken. Von 74 Lebensraumtypen bewertete die EU-Kommission nur zehn als ausreichend gemeldet und leitete im April 2003 ein zweites Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein – ob Deutschland zu hohen Strafzahlungen verurteilt wird, hängt vom Umfang der „3. Tranche“ ab.
Die bayerische Staatsregierung muss nun die Fehler, die sie bei der bisherigen Meldung gemacht hat, korrigieren. Das bedeutet auch, dass einige EU-widrige Regelungen der bayerischen Staatsregierung zur Gebetsauswahl aus dem Jahr 2000 keine Gültigkeit mehr haben. Die Naturschutzverbände hatten die Verstöße der bayerischen Staatsregierung von Anfang an kritisiert und auf die Folgen hingewiesen.

Das von den Fachbehörden jetzt vorgelegte Nachmeldungskonzept enthält zahlreiche Gebiete, auf deren Wert BN und LBV seit Jahren hingewiesen haben. Auch wenn für einige Gebiete weitere Teilbereiche und andere Abgrenzungen nötig wären, sind die Lücken im Netz Natura 2000 nun doch geringer. Die größten Defizite der Nachmeldung bestehen noch bei Wäldern, bei Lebensräumen für Amphibien sowie bei Gebieten, die wegen Straßenbauprojekten, wie der A 73 und A 7, wieder nicht gemeldet werden sollen.
Wenn diese Mängel behoben und zahlreiche Abgrenzungen verbessert werden, kann der vorliegende Entwurf als geeignetes Minimum einer Nachmeldung betrachtet werden. Sie würde den Umfang der bayerischen FFH-Gebiete auf circa neun Prozent der Landesfläche heben, zusammen mit den Vogelschutzgebieten auf 11 Prozent (Stand Oktober 2003). Dies läge deutlich über der bisherigen Meldung, allerdings immer noch weit unter dem europaweiten Durchschnitt von circa 13,5 %.

Die vorgelegte Gebietskulisse – soweit sie bisher bekannt ist – ist somit ein Minimum. Die Diskussion in den nun folgenden Wochen des „Dialogverfahrens“ darf nicht zu einer Reduzierung führen. Darauf hat auch die EU-Kommission in einem Treffen mit den Bundesländern im Januar 2004 hingewiesen. Brüssel erwartet, dass mit einigen Ergänzungen zumindest der Flächenumfang der Gebiete, die im Herbst via Internet öffentlich gemacht wurden, definitiv gemeldet wird.

Hohe Verantwortung und große – auch finanzielle - Chancen
Europäischer Naturschutz ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, die hierfür nötigen Maßnahmen und Nutzungsformen, wie beispielsweise Natura 2000-verträgliche Landwirtschaft, müssen vom Freistaat Bayern und auch der EU entsprechend honoriert werden.
Die aktuelle Bestandsaufnahme der Arten in Bayern hat gezeigt, dass der Gesamttrend der Artenvielfalt in Bayern in den letzten Jahren in erschreckender Dramatik nach unten gegangen ist. Der Erhalt der Artenvielfalt ist eine staatliche Aufgabe, die im Naturschutzgesetz verankert ist (Art. 1, 2).
Natura 2000 ist nach den Worten von Umweltkommissarin Margot Wallström das zentrale Instrument für den europaweiten Erhalt der Artenvielfalt.

Natura 2000 ist aber auch eine große Chance für den Erhalt einer naturverträglichen Land- und Forstwirtschaft, die mit den Erhaltungszielen in Natura 2000-Gebieten übereinstimmt. Eine solche Nutzung ist nach wie vor möglich und für bestimmte Lebensräume und Arten sogar erforderlich. Für Eingriffe, insbesondere Infrastruktur- und Baumaßnahmen müssen sogenannte Verträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden (mit Alternativenprüfung, nur bei Überwiegen öffentlicher Gründe). Ein Schutz der Natura 2000-Gebiete vor zerstörerischen Eingriffen dient nicht nur dem Naturschutz, sondern gerade auch den Landwirten, die die Flächen für die Landwirtschaft brauchen, und letztlich auch einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung und einem sanften naturverträglichen Tourismus.
Die wichtigste Vorgabe ist das „Verschlechterungsverbot“, zentrales Instrument hierfür ein „Managementplan“, der für jedes Gebiet erstellt werden soll.

Zur Umsetzung des ehrgeizigen Zieles sind gerade in Natura 2000-Gebieten finanzielle Anreize nötig. Auch die EU-Kommission sieht deshalb spezielle finanzielle Fördermöglichkeiten vor. Gerade vor dem Hintergrund der Osterweiterung und eines gleichbleibenden EU-Agrarhaushaltes wird in Natura 2000-Gebieten eine Konzentration von Mitteln erfolgen müssen. Europäische Schutzgebiete sind vorrangige Kulisse für europäische Fördergelder für eine naturverträgliche Landwirtschaft.
Um diese EU-Förderung auszunutzen, muss der Freistaat Bayern eigene Fördermöglichkeiten für einen höheren finanziellen Anreiz in FFH-Gebieten schaffen. Beispielsweise zahlt das Bundesland Hessen Landwirten in Natura 2000-Gebieten 20% mehr Extensivierungsprämie, in Thüringen gibt es eine eigene FFH-Prämie (50 €/ha Grünland,). In Bayern dagegen werden diese zusätzlichen Fördermöglichkeiten nach wie vor nicht eingesetzt, obwohl sie bei der EU angemeldet waren (Die EU ermöglicht bis 200 €/ha/Jahr in FFH-Gebieten, zusätzlich zu anderen Zahlungen). Minister Schnappauf zur FFH-Prämie auf eine entsprechende Anfrage im Bayerischen Landtag, Plenarsitzung am 13.12.2000: „Die Ausgleichszahlung wurde allerdings nur rein vorsorglich angemeldet und wird nicht praktiziert.“
Leider spricht sich gerade der Bayerische Bauernverband gegen eine FFH-Prämie aus. BN und LBV appellieren daher an die bayerischen Landwirte, sich für Natura 2000-Gebiete und für die Auszahlung höherer Förderprämien an naturverträglich wirtschaftende Landwirte in Natura 2000-Gebieten einzusetzen.

Im September 2003 hat die EU-Kommission eine ergänzende Verordnung (1783/2003) erlassen, die die in Artikel 16 der EAGFL-Verordnung (Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft) enthaltene Definition für Gebiete mit umweltspezifischen Einschränkungen präzisiert. Artikel 16 ist nun ausschließlich an Natura-2000-Gebiete gebunden und hat das Ziel, Landwirte bei der Einhaltung der Bestimmungen der Vogelschutz- und der FFH-Richtlinie zu unterstützen. Dazu gehört beispielsweise die Weiterführung oder Anpassung ihrer Bewirtschaftungsmethoden im Einklang mit dem Erhaltungsbedarf von Natura-2000-Gebieten. Diese Fördermöglichkeiten der EU müssen allerdings auf Landesebene kofinanziert werden. Durch die Schaffung entsprechender Programme auf Landesebene mit der Option, gebietsspezifische, auf die jeweiligen Schutzgüter angepasste Verträge abzuschließen, könnte Vertrauen bei den Flächennutzern aufgebaut und der Schutz der Gebiete optimiert werden.

Natura 2000 ist Verpflichtung, Gesetz und Konsens in vielen Gremien
Grudlage der Natura 2000-Gebietsausweisung sind zwei Richtlinien der EU: Die Vogelschutzrichtlinie von 1979 und die Fauna-Flora-Habitat (FFH)-RL von 1992.
Die FFH-RL wurde von allen Mitgliedstaaten beschlossen, und Deutschland war damals sogar ein Motor dieser Entscheidung. Sie entstand unter deutscher EU-Präsidentschaft nach fünfjähriger (!) Diskussion im Rat und im Europäischen Parlament mit einstimmigen Beschluss aller Minister aller Mitgliedstaaten! Anfang der 90er Jahre ging die RL zur Abstimmung in den Wirtschafts- und Sozialausschuß der EU, dem u.a. auch der stv. Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes angehört, sie wurde ohne Kritik und einstimmig abgesegnet. 1988 erfolgte die Zustimmung des deutschen Bundesrates zum Entwurf der RL – einstimmig, d.h. mit der Stimme Bayerns ! 1992 erfolgte die Zustimmung der Bundesregierung (noch unter der seit 1982 regierenden CDU/CSU-dominierten Bundesregierung). In den 90er Jahren hat sich mehrfach der bayerische Landtag mit der Umsetzung von Natura 2000 beschäftigt. Durch den Beschluss über das neue bayerische Naturschutzgesetz 1992 mit allen Stimmen der CSU-Fraktion wird die Umsetzung von Natura 2000 mit einem eigenen Abschnitt in bayerisches Recht übernommen. Die Inhalte der Richtlinie sind zudem seit Jahren verankert im deutschen Baugesetzbuch, Wasserhaushalts- und Raumordnungsgesetz.