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Europäisches Naturerbe erhalten

Mittelkürzungen und unbegründete Vorbehalte gefährden tragfähiges Netz "Natura 2000" in Bayern

03.12.2003

Der Freistaat Bayern scheint endlich bereit, seinen Beitrag für "Natura 2000", das europäische Netz geschützter Naturflächen zu leisten. Der Bund Naturschutz in Bayern e.V. begrüßt die Nachmeldung von weiteren Gebieten für Natura 2000 in Bayern ausdrücklich: "Natura 2000 ist dringend nötig für den Erhalt der Natur und gleichzeitig eine große Chance für eine naturverträgliche Nutzung in diesen Gebieten." Der 1. Vorsitzende des BN, Prof. Dr. Hubert Weiger, appellierte an alle Landnutzer und Verbände, "statt Flächenreduzierungen höhere finanzielle Anreize für naturverträgliche Landnutzung in diesen Gebieten zu fordern."

Ende September 2003 hat der Freistaat Bayern endlich einen Entwurf für die Nachmeldung bayerischer "FFH-" und Vogelschutzgebiete nach Brüssel vorgelegt. Angesichts des bedrohlichen europaweiten Verlustes vieler Lebensräume und Arten sowie der daraus folgenden Probleme ist ein länderübergreifendes Schutzgebietsnetz "Natura 2000" dringend notwendig und eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Die nun vorgelegte Nachmeldung ist dringend notwendig, um dieses Netz auch in Bayern eng genug zu knüpfen. Der BN begrüßt auch, dass diese Gebietsvorschläge bereits frühzeitig im Internet dargestellt sind. Dies darf jedoch nicht wie im Jahr 2000 zu einem Willkürakt der Streichung führen. Der Umfang der Gebietsmeldung ist fachlich notwendig für einen tatsächlichen Schutz von europaweit bedrohten Arten und Lebensräumen wie Fischotter, Bachmuschel oder Mooren sowie auch für Lebensräume, die ihren Verbreitungsschwerpunkt in Europa haben, wie z.B. Buchenwälder. Für die Auswahl der Gebiete gelten nach Vorgabe der EU-Richtlinie nur fachliche Kriterien. FFH-Gebiete sollen ausgewiesen werden für in der Richtlinie aufgeführte Arten und Lebensräume, von denen in Bayern insgesamt 58 Lebensräume und 69 Arten vorkommen. Dazu kommen noch die Schutzgebiete für Vogelarten der Vogelschutz-Richtlinie - zusammen "Natura 2000". Die vom Freistaat Bayern bisher für Natura 2000 vorgesehenen 11 % der Landesfläche sind noch nicht ausreichend. Nach detaillierten fachlichen Erhebungen des BN sind knapp 20% notwendig.

Die Vorgeschichte

Noch bis vor einem Jahr hatte die Staatsregierung behauptet, die Natura 2000-Meldung in Bayern sei abgeschlossen. Doch die Europäische Kommission hat vor einem Jahr die Kritik der Naturschutzverbände bestätigt, dass die bisherige Meldung keineswegs ausreichte, um die biologische Vielfalt in Bayern zu schützen. Es fehlten zentrale Gebiete, besonders Moore, extensive artenreiche Mähwiesen und Buchenwälder. Viele Lebensräume bedrohter Arten, von Säugetieren wie dem Fischotter, von Amphibien wie dem Kammmolch oder von Fischen wie der Äsche sollten ausgeklammert bleiben. Der geplante Flächenanteil betrug nur 6,7 Prozent der bayerischen Landesfläche. Auch bei den Vogelschutzgebieten fehlten zentrale Gebiete wie für den Ortolan oder die Wiesenweihe. Insgesamt deckten FFH- und Vogelschutzgebiete nur 7,9 Prozent der Landesfläche ab. Im April 2003 leitete die Kommission entsprechend ein zweites Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, dessen Abschluss mit einer Verurteilung sofortige rückwirkende Strafzahlungen bedeuten würde.

Die Nachmeldung

Das von den Fachbehörden jetzt vorgelegte Nachmeldungskonzept enthält zahlreiche Gebiete, auf deren Wert der BN seit Jahren hingewiesen hat, so z.B. das Rotwandgebiet (Lkr. Miesbach), viele Flusstäler wie z.B. die Paar (Lkr. Neuburg, Aichach u.a.), wertvollste Trockenverbundsysteme wie die Hänge im Altmühltal (Lkr. Eichstätt, Kelheim, Weißenburg) und etliche Moorgebiete wie z.B. die Grasleitner Moorlandschaft (Lkr. Weilheim/Schongau). Zentrale Lücken im Netz Natura 2000 wären damit geschlossen. Für einige Gebiete sind jedoch noch weitere Teilbereiche und andere Abgrenzungen nötig. Als weitere Kritikpunkte führt der BN an, dass die größten Defizite der Nachmeldung noch bei Wäldern, bei Lebensräumen für Amphibien sowie nach wie vor bei einigen Gebieten bestehen, die wegen Straßenbauprojekten wie der A 73 und A 7 wieder nicht gemeldet werden sollen. Mit den Nachmeldungen würde der Anteil der bayerischen FFH-Gebiete auf circa neun Prozent der Landesfläche steigen, zusammen mit den Vogelschutzgebieten auf 11 Prozent (Stand Oktober 2003). Dies läge deutlich über der bisherigen Meldung, allerdings immer noch weit unter dem europaweiten Durchschnitt von circa 15 Prozent.
Insgesamt betrachtet der BN die vorgelegten Nachmelde-Vorschläge des Freistaates Bayern als Minimum einer Natura 2000-Kulisse in Bayern, statt 11 % wären nach detaillierten Erhebungen des BN in Bayern knapp 20 % notwendig.
Wenn die Defizite noch behoben werden und die Kulisse endgültig für Natura 2000 gesichert wird, wäre dies ein Erfolg für Bayerns Natur und für den jahrelangen Einsatz des BN.

Naturverträgliche Nutzung und Sicherung des Naturerbes

Der BN appelliert daher nun an alle Beteiligten, an der Sicherung von Natura 2000 mitzuarbeiten. Umso besorgter ist der BN, dass sich 30 Nutzer-Verbände bereits in einer gemeinsamen Erklärung, datiert vom Oktober 2003, ablehnend gegenüber den Nachmeldungen ausgesprochen haben und sie die Staatsregierung bitten "überzogenen Vorstellungen bezüglich des Flächenumfangs der nachzumeldenden Gebiete eine deutliche Absage zu erteilen". Der BN stellt jedoch klar, dass die bayerischen Nachmeldungen keineswegs einen überzogenen Flächenumfang darstellen. Im Vergleich mit anderen deutschen Bundesländern liegt der bayerische Flächenumfang im unteren Bereich. Beispielsweise plant Hessen die Nachmeldung von 9,2 % der Landesfläche als FFH-Gebiete, zusammen mit 13,8 % als Vogelschutzgebiete insgesamt ca. 20 % der Landesfläche als Natura 2000-Gebiet. Rheinland-Pfalz plant die Meldung von 12,1 % der Landesfläche allein für FFH-Gebiete.

Der BN erwartet nun von der bayerischen Staatsregierung, dass der Prozess der Nachmeldungen bis zur endgültigen Meldung bei der EU ausschließlich nach den klaren rechtlichen Vorgaben der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie durchgeführt wird. Die bayerische Staatsregierung hat mit der eindeutigen Rüge der EU die Quittung für ihr "Dialogverfahren" bekommen, das letztlich auch dazu geführt hatte, dass große Verunsicherung in der Bevölkerungen entstanden ist bis hin zur Rechtsunsicherheit in Planungsverfahren. Die Auswahl der Gebiete für die Nachmeldung darf sich entsprechend der Richtlinie nur am Vorkommen der Lebensräume und Arten orientieren, und nicht an Lobbyinteressen. Dies haben mehrere Gerichtsurteile bis hin zum Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

Es handelt sich bei den Natura 2000-Gebieten meist um herausragende Natur- und Kulturlandschaften Bayerns. Eine naturverträgliche Nutzung dieser Gebiete ist nach wie vor möglich, in vielen Fällen sogar notwendig. Ein weitere Entwicklung wird damit nicht generell eingeschränkt, sondern sie kann durchaus erfolgen, wenn sie mit den Ziele des Natura 2000-Gebietes vereinbar ist. Natura 2000 ist im Gegenteil eine zentrale Zukunftschance für Bayerns Landwirte, da hier künftig Fördermittel der EU für eine naturverträgliche und tatsächlich nachhaltige Landnutzung konzentriert werden. Forderungen der Eigentümer- und Interessens-Verbände, "dass eine Herausnahme von Flächen aus Gründen der nachhaltigen [sic !] Entwicklungsmöglichkeit weiterhin möglich sein muss." sind bei der Auswahl der Gebiete fehl am Platz. Eine Abwägung, welche Entwicklungen mit Natura 2000 vereinbar sind, erfolgt erst nach der Auswahl der Gebiete bei einer gebietsbezogenen Prüfung. Ziel ist der Erhalt der Gebiete, die Natur darf sich nicht in ihrem Zustand verschlechtern.

Europäische Schutzgebiete sind vorrangige Kulisse für europäische Fördergelder für eine naturverträgliche Landwirtschaft. Vor dem Hintergrund der in Kürze anstehenden Osterweiterung und eines gleichbleibenden EU-Agrarhaushaltes wird hier eine Konzentration von Mitteln erfolgen müssen. Notwendig sind zudem eigene bayerische finanzielle Möglichkeiten für höhere finanzielle Anreize in FFH-Gebieten. Beispielsweise zahlt das Bundesland Hessen Landwirten in Natura 2000-Gebieten 20% mehr Extensivierungsprämie, in Thüringen gibt es eine eigene FFH-Prämie. In Bayern dagegen werden diese zusätzlichen Fördermöglichkeiten nach wie vor nicht eingesetzt, obwohl sie bei der EU angemeldet waren. Wäre der Widerstand des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) gegen diese Prämie nicht so groß, gäbe es vermutlich schon lange entsprechende bayerische Ausführungsbestimmungen dazu. Der BN appelliert daher an den BBV, sich für Natura 2000-Gebiete und für die Auszahlung höherer Förderprämien an naturverträglich wirtschaftende Landwirte in Natura 2000-Gebieten einzusetzen.


gez. Prof. Dr. Hubert Weiger
Landesvorsitzender


Für Rückfragen:
Christine Margraf, Leiterin BN-Fachabteilung München (089/ 54 82 98-89,
christine.margraf@bund-naturschutz.de)
Kai Frobel, Landesfachgeschäftsstelle, Referent für Arten- und Biotopschutz (0911/ 818 78 18,
kai.frobel@bund-naturschutz.de)